Zivildienst und Annika 14 (Sommer 5)
Natürlich brachte ich es am folgenden Tag nicht fertig, mit Annika zu
reden, obwohl ich es mir fest vorgenommen hatte. Gina und ich versuchten
wie zwei kleine Kinder, die etwas ausgfressen hatten, uns auch ja nichts
anmerken zu lassen, aber irgendwie waren wir trotzdem auffällig still.
Den Bruchteil einer Sekunde hingen unsere Blicke zu lang aneinander,
wenn wir uns ansahen. Wenn wir es merkten, blickten wir für einen Moment
beschämt zu Boden.
»Ist irgendwas besonderes heute?« wollte Annika wissen.
»Wieso?«
»Ihr seid so still, ich mein ja nur.«
»Muß das schlechte Wetter sein.« Wie dämlich.
Den ganzen Tag über hatte ich Angst vor dem Abend. Ich wußte, daß Gina
und ich die nächste Gelegenheit nutzen würden, allein zu sein. Wie
konnte ich mich vor mir selbst schützen?
Wie es der Zufall so wollte, waren Gina und ich an jenem Abend mit dem
Abwasch an der Reihe. Schweigend gingen wir nebeneinander zum Waschhaus
– jeder mit einer Plastikschüssel mit schmutzigem Geschirr im Arm.
Nachdem wir uns beim Abwasch einige Zeit angeschwiegen hatten, fing Gina
an.
»Tut mir leid wegen gestern Abend. Ich habe Dich verleitet.«
»Ja, das hast Du wohl. Es war aber ein sehr schöne Verleitung.«
Sie lachte kurz auf.
»Naja, wir hätten uns vielleicht nicht so gehen lassen sollen.«
Ich nickte und starrte Löcher ins Waschbecken.
»Weißt Du, ich will nicht die Freundschaft zwischen Annika, Dir und mir
zerstören. Wenn das rauskommt, hat keiner von uns was davon.«
Ich war etwas überrascht davon, daß Gina so schnell Abstand von dem
gestrigen Geschehen nahm, aber das war wohl das Beste. Am liebsten hätte
ich beide gehabt: Annika UND Gina. Ich sah Gina an und sagte
schließlich:
»Laß uns einfach Freunde bleiben, ok?«
Ich hatte irgendwie einen Kloß im Hals. Sie nickte und sah weg. In ihren
Augen glitzerte es feucht. Ich legte das Handtuch beiseite und nahm Gina
in meine Arme und streichelte sanft über ihren Rücken.
So hatten wir also die verschwommene Grenze zwischen Liebe und
Freundschaft wieder zurechtgerückt.
Als Annikas Periode vorbei war, konnte ich es endgültig nicht mehr
aushalten und wir liebten uns schnell und wild im Zelt, als Gina eines
Nachts auf Klo ging.
Am letzten Abend, Gina schlief schon, ging ich mit Annika noch einmal
zum Steg am See. Der Himmel war wolkenlos und die goldene Sonne war
schon am Horizont versunken.
Dieser Moment war vielleicht einer der bedeutensten Momente in meinem
und Annikas Leben. Es war kühl geworden und Annika hatten ihren hellen
Wollpullover mit dem Rollkragen übergezogen. Wir standen ganz vorn am
Steg, ich stand hinter ihr und hatte meinen Kopf auf ihre Schulter
gelegt und umfaßte ihren Bauch mit meinen Armen. Sie lehnte ihren Kopf
gegen meinen.
Wir waren traurig, daß der Urlaub so schnell vorbeigegangen war. Wir
wußten auch, daß ich bald das Studium anfangen würde und Annika ihre
Ausbildung. Wir hatten darüber zwar nie gesprochen, aber ich glaube,
Annika hatte Angst, das die ungewisse Zukunft unsere Beziehung gefährden
könnte. Sie wurde immer so seltsam, wenn ich mit ihr darüber sprach. Als
wollte sie davon nichts hören, sondern lieber die Gegenwart genießen.
Manchmal hatte sie so gewisse Andeutungen gemacht, aber ich war nie
richtig darauf eingegangen. Aber jetzt rückte der Zeitpunkt näher und
ich wollte nicht, daß sie sich Sorgen machte.
»Hast Du Angst vor etwas«, fragte ich sie, »wegen uns?«
»Ja«, sagte sie. Ich hatte es ja gewußt, nur nie ausgesprochen.
»Was ist es?«
»Das wir irgendwann nicht mehr zusammen sind…«
Ich flüsterte in ihr Ohr: »Das wird nicht passieren, niemals. Ich hab so
gern, ich könnte Dich nie verlassen.«
»Schwörst Du mir das?« sagte sie leise.
»Ja, ich schwöre es«, flüsterte ich zurück.
Wir blieben noch ein Weilchen am Steg und genossen die Abendstimmung.
Von diesem Moment an wußte ich, daß uns nichts mehr trennen würde, und
das ist auch bis heute so geblieben.
***
Im Herbst ging meine Zeit als Zivildienstleistender zuende und ich
begann das Medizinstudium.
Als Annika ihr Abitur hinter sich hatte, begann sie eine kaufmännische
Ausbildung.
***
Wenn ich jetzt auf all das zurückblicke, muß ich sagen, daß die Zeit bis
hierhin die schönste meines Lebens war. Was gibt es schöneres, als jung
und gesund zu sein und unbeschwert zu leben?
Damit war es jetzt vorbei, zumindest teilweise. Das Studium gestaltete
sich für meine Begriffe sehr hart, aber ich war sehr ehrgeizig. Annika
und ich sahen uns nicht mehr so oft, aber dafür war es dann umso
schöner, wenn wir uns trafen. Es war gut, jemanden zu haben, der einem
Rückhalt in frustrierenden Zeiten geben konnte.
Gina, die sehr begabt für Fremdsprachen war, ging nach dem Abi für ein
Jahr ins Ausland. Dort lernte sie einen Amerikaner kennen, mit dem sie
immer noch zusammen ist. Es traf uns ziemlich hart, als sie uns
mitteilte, daß sie in den Staaten studieren wollte. Aber es freute uns,
daß sie ihr Glück gefunden hatte.
Einmal im Jahr kam sie nach Deutschland um ihre Familie und natürlich
auch uns zu besuchen. Wenn sie wieder wegflog, fiel der Abschied am
Flughafen immer sehr schwer, besonders für Annika.
Susan habe ich auf einem Klassentreffen vor einiger Zeit
wiedergetroffen, aber wir unterhielten uns nur oberflächlich, als hätten
wir vergessen, was damals war.
***
Ja, jetzt sind wir am Ende der Geschichte angelangt. Komisch, wie
schnell die Zeit doch vergeht. Und eigentlich ist es schade, denn ich
wäre gern nochmal 18.
/* Ende */
p.s. Hoffe, Euch hat unsere Geschichte gefallen.