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Knastbrüder – Teil 3: Orug (Autor: boyblogger

„Oookay….” dachte sich Mirko und wunderte sich, ob sein Zwangs-Zimmergenosse nur unhöflich war oder ob es im Gefängnis einfach nicht üblich ist, sich die Hand zu geben.

Es musste später Nachmittag sein, die Uhr hatte er in der Kammer gelassen. Erschaute nach links auf ein doppelstöckiges Bett, dessen unterer Teil ordentlich bezogen war. Das obere Bett bestand lediglich aus einer Matratze. „Ich schlafe wohl oben, was?” fragte Mirko und bemühte sich immer noch locker und gelassen zu klingen. In wirklichkeit wollte er einfach nur anfangen, zu heulen.

Orug muss dies als eine rhetorische Frage aufgefasst haben, also eine jener Fragen, die sich selbst beantworteten, denn er antwortete nicht. Dann schwang sein Blick an die rechte Wand, an der zwei hohe Regale ohne Türen standen. In dem Rechten lagen im unteren Bereich fein aufgeräumt Utensilien von Orug wie Stifte, Blätter, ein Wasserkocher, eine Packung Zigarretten samt Feuerzeug und jede Menge Kleinkram. Darüber hatte er sich ein Bücherregal eingerichtet. Mirko überflog einige Titel beiläufig und schaute dann wieder zu Orug, der immer noch einen halben Meter vor ihm stand und ihn gelangweilt anschaute.

Sollte er ihm sagen, dass er zum ersten mal im Knast saß? Sollte er sich überhaupt weiter mit ihm unterhalten? Orug machte nicht gerade den Eindruck, als wäre für ausgiebige Meinungsaustausche zu haben. Mirko presste die Lippen zusammen und nickte leicht. Eine jener peinlichen Situationen, in denen sich zwei Menschen anschwiegen, weil sie nicht genau wussten, was sie sagen sollten.

Er entschied, zumindest das mit seiner (fehlenden) Knasterfahrung noch anzusprechen. Irgendwann würde Orug es eh herausfinden und vielleicht zeigte er sich ja hilfsbereit, ihn vor den gröbsten Fettnäpfchen zu bewahren.

„Ich war noch nie im Knast, weißt Du?” sagte er. Orug schwieg und als Mirko auf dessen Hände sah bemerkte er, wie sich diese zu Fäusten ballten. Ein Klos entstand in Mirko’s Hals.

Dann nahm er alle Kraft zusammen, lächelte Orug an und fragte „Wie läuft das denn hier? Gibt es so etwas wie einen geregelten Tagesablauf?” Die Hände von Orug entspannten sich etwas. Dann ging er seitlich zu einem kleinen Tisch und setzte sich auf dessen Kante. „Ja, gibt es” sagte er.

„Um 6:30 Uhr ist wecken. Ein Wärter schaut herein und Du musst ihm signalisieren, dass Du noch lebst.” Mirko wollte zu einer Frage ansetzen aber aber Orug unterbrach ihn „Hand heben reicht.”. Die Frage war beantwortet.

„Wenn er die Tür wieder abgeschlossen hat, stehst Du auf und wäschst Dich. Ich bleibe gerne morgens etwas länger liegen, daher bist Du also zuerst dran. Dann wasche ich mich. Danach wirst Du unsere Betten machen. Siehst Du, wie mein Bett bezogen ist?” Mirko nickte verdutzt. „Okay. Genau so müssen die Betten aussehen. Der Bettbezug ist glatt. Die Bettwäche hat ihren Längsknick auf der zur Zelle gerichteten Seite und ist bündig mit der Matratze. Die beiden Enden auf der anderen Seite liegen – ebenfalls bündig – übereiander. Die Bettwäche muss glatt sein. Das Kopfkissen wird glatt gestrichen und Bündig mit dem oberen Ende der Matratze gelegt.”.

Mirko schluckte und wollte etwas sagen aber Orug lies ihn nicht. „Kurz vor 8 ist dann Frühstück. Nachdem wir gegessen haben, wäschst Du das Geschirr, stellst die Tabletts zusammen und kehrst die Zelle. Er Arbeitsdienst hat wird gegen 9 Uhr abgeholt. Ich selber habe noch keine Stelle. Wenn Du irgendwas möchtest, kannst Du es auf diesem grünen Formular aufschreiben und einem Bediensteten mitgeben.” Er zeigte auf ein paar grüne Blätter im Schrank. Zwischen 16 und 18 Uhr ist Umschluss. 22 Uhr ist Bettzeit.”

Mirko hätte nicht erwartet, dass Orug so viele Wörter hintereinander sagen kann und war darüber etwas erleichtert. Nicht so angetan war er vom Inhalt der Sätze, die sich durch die Aneinanderreihung der Wörter ergaben. Ihm war klar, dass Orug ihn provozieren wollte. Oder war das im Knast einfach so üblich, dass der „Neue” die Drecksarbeiten machen musste?. Doch was, wenn er es einfach hinnehmen würde? Würde man ihn als Weichei abstempeln und von da an immer wieder herumkommandieren? Konnte er sich so einen Ruf leisten?

Diesmal war es Mirko, der seine Antwort kurz und knapp präsentierte: „Nein!”.

Orug zog die Augenbrauen hoch. „Was, nein?” fragte er. „WIR werden abwechselnd aufstehen und uns waschen, WIR werden jeder unser eigenes Bett machen, WIR werden abwechselnd nach dem Frühstück die Zelle kehren.” erwiederte Mirko. „Und was zur Hölle ist ein Umschluss?”.

Orug lies die Augenbrauen wieder sinken. „Umschluss bedeutet, Du darfst zu jemandem auf die Zelle. Du klingelst,” Orug wies auf einen Knopf neben der Tür „ein Bediensteter kommt und Du sagst ihm, zu wem Du möchtest. Dann führt er Dich dort hin.”.

Mirko war etwas irritiert über die Antwort. Er hatte erwartet, dass Orug über die Aufgabenverteilung nochmal diskutieren wollte. „Heißt das, wir sind uns über meine Auffassung der Aufgabenteilung einig?” fragte Mirko. „Nein” erwiederte Orug.

Mirko lies die Mundwinkel, die er vorher zu einem sympathischen Lächeln erhoben hatte, wieder sinken. In Gedanken ging er seine Optionen nochmal durch. Würde Orug ihm den „harten Hund” abkaufen oder sollte er besser klein beigeben?

„Und was, wenn ich mich weigere, die Drecksarbeit alleine zu machen?” Mirko überlegte kurz, was er aus Filmen kannte, wie man mit Neulingen im Knast umging, die sich der Hierarchie nicht unterordneten. Dabei kam ihm eine Szene in den Sinn, die ihn zwar etwas beunruhigte, der er aber nur offensiv begegnen konnte: „Vergewaltigst Du mich dann?”.

Orug sah’ ihn mit einem mitleidigen Blick an, sagte aber nichts. Mirko entschied sich zu einem offensiven Gegenangriff.

Er zog seine Hose samt Unterhose herunter, entledigte sich seinem Shirt, warf sich auf das ordentlich hergerichtete Bett, presste seinen Kopf in die Matratze und winkelte seine Beine so an, dass sein blanker Po in die Höhe ragte. Dann sagte er zu dem verdutzten Orug „Na los, bringen wir es hinter uns!”.

In diesem Moment erklang ein metallisches Geräusch und die Tür ging auf.

Der Doc trat in die Zelle mit einer Akte in der Hand und blickte auf eine surrele Szene, die einen angezogenen Türken mit entsetztem Gesichtsausdruck und einen nackten, mageren Typen in Hündchenstellung auf dem Bett preis gab.

„Oh, ich störe wohl.” meinte der Doc. „Nein!” rief Orug. „Was ist hier los?” fragte der verdutzte Beamte, der den Doc begleitete. „Oh, mein Zellengenosse hier” Mirko krabbelte aus dem Bett und zeigte auf Orug, „wollte mir gerade zeigen, wie das hier im Knast so läuft mit den Neuen”. „Was?” fragte ihn Orug entsetzt. „Naja, wir kommen dann später wieder.” sagte der Doc leicht schüchtern, drehte sich um und drückte den ebenfalls irritierten Beamten aus der Zelle. Als der junge Arzt gerade die Zellentür schließen wollte fragte Mirko noch „Doc, bekommt man bei Ihnen Kondome?”. Doc nickte. „Dann bringen Sie uns bitte ein paar. Ist sicherer!”. Dann fiel die Tür ins Schloss und wurde verriegelt.

„Das ist jetzt nicht wahr. Das hast Du nicht wirklich gemacht” sagte Orug wie wenn er zu sich selber sprechen würde. Da aber kein Anderer da war, fühlte sich Mirko angesprochen.

„Mensch, die glauben doch jetzt, ich sei schwul!”. „Und?” fragte Mirko gelassen. „Und?” wiederholte Orug. „Mensch, wenn sich das rumspricht, dann bin ich erledigt. Dann muss ich in Sicherheitsverwahrung. Das ist genauso als würde ich in Iso-Haft gesteckt werden.”. „Schwule müssen hier in Sicherheitsverwahrung?” fragte Mirko erstaunt. „Bist Du denn komplett bescheuert? Ich bin islamist.”. „Du hättest mich also nicht vergewaltigt?” fragte Mirko. Die Ruhe und Gelassenheit, die Anfangs von Orug ausging, wich zunehmend Panik. „Jetzt sag’ bloß nicht, DU bist schwul.” Mirko nickte zögernd. „So eine Scheiße!” rief Orug.

Die Zellentür öffnete sich erneut. Der Beamte von eben kam langsam und zögernd herein, legte drei Kondome in das leere Regal, grinste beide an und ging wieder.

Orug schlug die Hände auf seine Stirn und schien verzweifelt nachzudenken. Innerlich musste Mirko grinsen. Er hatte die Schwachstelle des Super-Machos gefunden.

Er ahnte bereits, dass sein neuer Freund nicht viele alternative Handlungsmöglichkeiten auf so eine Demütigung kannte. Also geschah’, was geschehen musste.

Mirko grümmte sich, immer noch nackt, vor Schmerzen auf dem Boden. Er hustete aber zum Glück kam kein Blut aus seinem Mund. Seine harten Bauchmuskeln hatten viele der Schläge in den Magen abgefedert, aber er musste dennoch tief und röchelnd nach Luft schnappen.

Auch wenn er damit gerechnet hatte, dass das passiert – und vermutlich hatte er es auch verdient – schwor er sich, das nicht auf sich sitzen zu lassen. Er musste seinem Zellengenossen beweisen, dass er ein harter Hund war. Doch wie sollte er morgen früh reagieren? Sollte er sich zunächst an Orugs Anweisungen halten?

Nachdem sich Mirko wieder angezogen hatte, bezog er sein Bett. Gegenüber dem von Orug sah es laienhaft und schäbig aus aber es reichte, zum schlafen.

Die Stille in der kleinen Zelle war irgendwie gespenstisch. Auch als die quadratische Klappe in der Tür aufging und jemand „Essen fassen!” rief, sprachen beide kein Wort miteinander. Orug saß am Tisch und aß sein Abendbrot, Mirko erledigte dies auf seinem Bett sitzend und lies die Beine herunterbaumeln. Normaler Weise aß Mirko nicht zu abend aber er wollte Orug auch nicht einfach dabei zusehen.

Das Abendessen bestand aus zwei Scheiben Brot, vier Scheiben Wurst, Margarine und grünem Tee. Es schmeckte, auch wenn es ihn an Krankenhausessen erinnerte.

„Hey” durchbrach Mirko die Stille. „Lass uns sowas wie einen Vertrag schließen”. Orug sah ihn gelangweilt an. „Vertrag?”. „Ja, scheint so, als wären wir hier gezwungen, auf kleinem Raum zusammen zu leben. Und ja, wir hatten einen – sagen wir – unglücklichen Start. Ich möchte, dass wir uns vertragen. Du kommandierst mich nicht herum, benimmst Dich nicht wie ein Arschloch und wir teilen uns die anfallenden Arbeiten auf. Was hälst Du davon?”. Orug dachte kurz nach. „Und was ist Dein Teil des Vertrages?” wollte er wissen. Mirko erwiederte „Nun, ich werde Dir das Leben hier nicht zur Hölle machen!” und legte einen ernsten Gesichtsausdruck auf.

Mirko sprang vom Bett, stellte sein Tablett in sein Regal und reichte Orug die rechte Hand. Dieser stand auf, stellte sich nur wenige Zentimeter vor Mirko und drückte den Zeigefinger auf Mirkos Brust. „Du halbe Portion willst mir das Leben zur Hölle machen? Bist Du sowas wie ein Komiker?” Mirko nahm die Hand wieder runter. „Gegenvorschlag:” sagte Orug. „Wir vertragen uns einfach. Wenn ich Bock darauf habe, mich arschig zu benehmen, dann mache ich das.”. Dann reichte Orug ihm die Hand. Mirko schlug ein.

Während er sich die Zähne mit der ekligen Zahnpasta putzte fühlte sich Mirko wie ein Held. Er hatte bewiesen, dass er ein echter Mann war und offenbar erkannte Orug das an.

Als er sich ins Bett legte und noch mit offenen Augen an die Decke starrte fühlte Mirko wieder die beklemmende Enge. Er war eingesperrt. Wie man es mit Tieren machte, die ungehorsam waren. Wie gerne hätte er jetzt in seinem eigenen Bett gelegen. Zu Hause.

Das Licht ging aus und er sah’ die Schatten der Gitterstäbe an der Decke.




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