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Geheimnisse von Nonnenwerder

Das Geheimnis von Hopfen, Mais und Honig 

Es dauerte ein paar Tage, bis Jelena meine Sachen auf der anderen Seite gefunden hatte und nochmal ein paar Tage, bis Vanessa die Erlaubnis bekam, sich mit ihr auf der Insel zu treffen. Meine Oma hatte da sehr stark interveniert. Sie war mit Jelena höchst persönlich zu ihren Eltern gefahren und hatte sie auf den Kopf zu gefragt, ob sie denn noch alle Tassen im Schrank hätten, ihren Töchtern wegen ein bisschen körperlicher Nähe und der Liebe zwischen Schwestern so ein Theater zu veranstalten. 

Und dann hatte sie ihnen noch vom Gleichnis des verlorenen Sohnes erzählt und was von christlicher Nächstenliebe. Und warum sie jeden auf der Straße lieben würden, aber ihre eigene Tochter nicht. Das war dann das Tüpfelchen auf dem I. Für mich war ja schon immer klar gewesen, dass meine Oma die größte war. Jetzt wusste es auch meine Freundin Vanessa. 

Jedenfalls befanden sich in meiner Hose ein paar Körner von dem, was der Hausmeister in den Säcken hatte. Diese lagen jetzt auf meinem Schreibtisch.

„Das hier ist Mais, eindeutig“, sagte Anna. „Aber was ist das grüne hier?“
„Hopfen“, sagte Cloe. „Ich habe mal mit meinen Eltern eine Brauereibesichtigung gemacht.“ 
„Aber was macht der Hausmeister mit Hopfen und Mais im Keller?“, fragte ich.
„Wenn ihr mich fragt, dann würde ich sagen, der braut da unten Bier“, sagte Jelena. „Das würde auch passen.“
„Warum soll das passen?“, fragte Anna.
„Er war Bierbrauer, bevor er vor zehn Jahren hierherkam“, sagte Jelena, als sei diese Information Teil der Allgemeinbildung. „habt ihr das nicht gewusst?“
„Nein?!“, sagte wir fast wie aus einem Mund.
„Aber wie kommt ein Bierbrauer an eine Stelle als Hausmeister in einem Kloster?“ überlegte ich.
„Ich weiß etwas von einem Unfall“, sagte Jelena. „Was da aber genau war, dass weiß ich nicht. Er ist doch nur der Hausmeister.“
„Also ist das das letzte Geheimnis des Klosters“, sagte ich. „Ich weiß nur nicht, ob wir das lüften sollten.“
„Aber ob er da unten tatsächlich Bier braut, das will ich schon wissen“, warf Anna ein. „Vielleicht können wir ihn dazu überreden, ein paar Flaschen ab zu geben.“ 
„Du trinkst doch kaum“, grinste ich sie an.
„Das liegt aber nur daran, dass mir das meiste Bier zu bitter ist. Vielleicht macht er ja ein besseres.“

So war beschlossen, dass wir nun auch dieses letzte Geheimnis des Klosters lüften wollten. Zuerst wollte ich herausbekommen, was in den Kisten geklimpert hatte. Also stiegen wir in den Keller und untersuchten den Inhalt der Kisten. Darin befanden sich Gläser mit Honig und in anderen leere Flaschen mit Bügelverschluss. Damit war die Bierthese untermauert. Blieb nur noch die Frage nach dem wo. 

Wir untersuchten den ganzen Raum über dem Ausgang des Tunnelschachtes, aber nirgends war etwas Auffälliges zu sehen. Ich erklärte nochmal ganz genau, was ich in der Nacht hier gehört hatte. 

„Das einzige, was hier außer der Leiter aus Metall ist, das ist dieser Blechschrank hier“, sagte Vanessa. Sie legte den Hebel um, um ihn zu öffnen, aber stattdessen erklang das metallische Geräusch, was ich auch in der Nacht gehört hatte. Wir untersuchten den Schrank genauer. Mit dem Hebel konnte man den Schrank tatsächlich nicht öffnen, dafür hatte er sich von der Wand abgerückt. Beherzt griff ich an den Hebel und drehte ihn weiter. Nach über 30 Umdrehung hatte er eine Öffnung in einen weiteren Raum freigegeben. 

Als wir dort eintraten, roch es wirklich lecker. In einer Reihe standen hier vier leuchtende Kupferkessel, in denen Flüssigkeiten zu brodeln schienen. Alles war sehr gepflegt und man sah, dass dies hier einer mit Liebe zum Detail betrieb. Wir waren gerade in den Anblick vertieft, da wurden wir von einer Stimme hinter uns aufgeschreckt.

„Was macht ihr hier?“

Es war unser Hausmeister. Er stand im Durchgang, die Hände in die Seiten gepresst. Missmutig sah er zu uns rüber.

„Wir wollten ein Geheimnis lüften“, sagte ich schnell. „Es war alleine Idee.“
„Und was wollt ihr jetzt machen? Es der Schwester Oberin erzählen?“
„Warum sollten wir das tun? Ich sehe das eher so, dass jeder ein paar Geheimnisse braucht. Ich würde nur gerne wissen, warum sie es tun. Das sie das gelernt haben, dass wissen wir mittlerweile.“
„Woher?“
„Von einer ehemaligen Schülerin“, sagte Vanessa. „Meine große Schwester.“

Der Hausmeister musterte sie und schien sich dann an jemanden zu erinnern. 

„Lena oder so? Die kroch auch immer durch den Tunnel nach draußen. Hat sie euch von ihm erzählt?“
„Nein, das haben wir alleine herausbekommen. Dadurch das sie jeden Abend nach der letzten Fähre zu diesem Grab in Bad Godesberg fahren.“

Die Erwähnung dieses Zusammenhangs ließ den Hausmeister zusammensinken. Er trat in den Raum und setzte sich auf einen Hocker. Ich sah deutlich die Trauer in seinem Gesicht. Ich konnte nicht anders, ich trat zu ihm und legte meine Arme um ihn.

„Es tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen“, sagte ich ihm. 

Es dauerte etwas, bis er sich gefangen hatte. Dann erzählte er von sich aus, wen er da jeden Abend auf dem Friedhof besuchte. Es war eine Mutter mit ihrem Kind, die er bei einem Unfall überfahren hatte. Eigentlich konnte er nichts dafür. Er war kein Rennen gefahren oder sonst etwas. Es war ein Nagel gewesen, der einen seiner Reifen langsam zu einem Platten gemacht hatte und ihn in einer Kurve die Kontrolle über sein Auto hatte verlieren lassen. Das hätte jedem passieren können, hatte ihm die Polizei gesagt, aber trotzdem war die junge Frau und das Kind tot. 

Er war darüber nicht weggekommen und war in der Brauerei, in der er arbeitete, bald sein bester Kunde geworden. Das hatte sein Chef drei Monate ignoriert und ihn dann vor die Wahl gestellt. Entweder kündigte er freiwillig, oder er würde ihn wegen seines Alkoholismus kündigen. Er war gegangen und war danach nochmal richtig abgestürzt. Er hat dann ein Jahr auf der Straße gelebt, bis Schwester Agnes quasi über ihn gestolpert war. Sie hat ihn auf die Insel geholt und hatte ihm geholfen vom Alkohol los zu kommen. Seine Schuld war geblieben. Vor der konnte er weder mit Arbeit noch mit trinken davonlaufen. Aber er hatte wieder eine Aufgabe und das war etwas wert und er war für dieses Chance dankbar. Und dann hatte er irgendwann beim Aufräumen hinter der geheimen Tür den Braukeller gefunden. Er dachte sich, das ist eine Prüfung von Gott, oder eine Chance, das alte und das neue zu verbinden.

„Sie sehen aber nicht aus, als wenn sie viel von ihrem Bier trinken“, stellte Cloe fest.
„Nein, ich braue es als Bier für die Fastenzeit der Nonnen.“
„Die wissen, was sie hier machen?“
„Ja, ich weiß es“, kam die nächste Stimme aus dem Durchgang. Schwester Agnes stand dort. „Es war mir klar, dass euch früher oder später in diesem Tunnel finden würde. Ich habe auf später gehofft. Wer außer euch weis noch über den Tunnel Bescheid?“ 
„Johannes und Martin“, sagte ich ihr. 
„Das erklärt, warum ich sie einmal nachts aus euren Zimmern hab kommen sehen. Ihr seid erwachsen. Ich kann euch nicht vorschreiben, wann ihr was macht. Ich habe nur die Bitte, dass ihr es nie an die große Glocke hängt.“
„Wir versprechen es, Schwester Agnes.“ sagten wir fast gleichzeitig.

Schwester Agnes nickte und ging durch den Raum zu den Kesseln. Sie holte eine Reihe Gläser hervor und hielt sie einen nach dem anderen unter einem der Kessel unter den Hahn, bis sechs Gläser halb gefüllt waren. 

„Deswegen seid ihr doch hier, oder?“
„Wir wollten eigentlich nur das letzte Geheimnis der Insel lüften“, sagte Anna.
„Ach, das Geheimnis des verbotenen Waldes habt ihr auch schon?“
„Ja, wir haben die Wildschweine gefunden“, sagte Cloe. „Und wir haben kein Bedürfnis, sie nochmal zu finden.“
„Und wie und warum unser Hausmeister jede Nacht die Insel verlässt, ohne mit der Fähre zu fahren. Da war auch eine Geschichtsstunde über das Kloster sehr hilfreich“, bemerkte Anna.
„Als Geschichtsunterricht mit praktischer Anwendung“, stellte Schwester Agnes fest und hob ihr Glas gegen das Licht. „Trotz allem ist euch natürlich klar, dass ihr eine Strafe verdient habt. Vor allem du Jacqueline.“ 
„Warum ich?“, wollte ich wissen.
„Durchschwimmen des Rheinarmes im Winter. Kind, du hättest dir den Tod holen oder direkt sterben können.“

Ich schaute betreten zu meinen Fingern. 

„Ihr könnte es nicht wissen, weil ihr bisher noch nicht hier wart oder noch zu jung dafür wart, aber die jetzige Brauung ist für die Silvesterfeier auf der Insel. Nur die Abiturklassen sind dazu zugelassen. Und meine Strafe wird nun folgende sein. Ihr Werdet unserem Hausmeister helfen, das Bier in die Flaschen abzufüllen und mit den Etiketten zu bekleben.“

Das war wirklich keine schwere Strafe und der Hausmeister freute sich sehr über unsere Hilfe. Ich würde sogar soweit gehen, dass wir so etwas wie seine besonderen Lieblinge wurden. Ausgenutzt haben wir das indes nie.

Ich für meinen Teil war danach wirklich froh, dass mich mein Vater hergebracht hatte. Endlich seit Jahren war ich mal wieder wirklich irgendwo zu Hause. Ich nahm Anna in die Arme und wir schauten zusammen aus dem Fenster. Ich küsste sie und sagte ihr, wie froh ich sei, dass all das passiert war.

ENDE




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