Sara war nicht grundsätzlich rebellisch, ließ es sich jedoch meistens anmerken, wenn sie irgendetwas oder irgendjemanden nicht mochte. Und Frau Lehmann war ihr von Anfang an unsympathisch. Im letzten Jahr hatten sie sie auch schon in Geschichte gehabt. Sara war eigentlich sehr interessiert an dem Fach. Aber Frau Lehmanns Unterricht war so langweilig, dass selbst die interessierten Schüler den Spaß verloren. Das verleitete die von sich selbst absolut überzeugte „Pädagogin“ zu der Annahme, dass die Jugendlichen das Fach nicht ernst nahmen. Und darauf reagierte sie mit irgendwelchen Sanktionen, um ihre Autorität zu demonstrieren. Meist waren das umfangreiche Strafarbeiten. Davon war fast die Hälfte der Klasse mal betroffen, Sara aber häufiger als die anderen. Nicht nur Sara glaubte, dass es daran lag, dass Frau Lehmann sich von ihr herausgefordert fühlte. Die interessierte Schülerin wollte aber einfach nur nicht alles hinnehmen, hinterfragte Dinge, und damit konnte die Lehrerin nicht umgehen. Einmal hatte Sara ganz ruhig gefragt, warum sie so viele Jahreszahlen zu irgendeinem Thema lernen sollten. Ob es nicht viel sinnvoller wäre, Hintergründe und Sinnzusammenhänge zu erörtern. Daraufhin wurde Frau Lehmann rot vor Wut und schrie die vermeintliche Unruhestifterin an, was ihr einfiele, ob sie sich einbildete, sie wisse, wie Unterricht zu funktionieren habe. Zur Strafe musste Sara noch mehr Daten lernen, was ihr nicht gut gelang, obwohl sie es versuchte. Deshalb hatte sie eine „4″ auf dem Zeugnis, obwohl sie eigentlich eine der besseren war.
Am Nachmittag dieses so ereignisreichen Schultages dachte Sara viel nach. Einerseits erregte sie nach wie vor der Gedanke, körperlich bestraft zu werden. Andererseits war das noch eine große Wundertüte. Jeder Lehrer und jede Lehrerin konnte offenbar die Regelung so auslegen wie er oder sie das wollte. Und das war natürlich schwer zu kalkulieren, außer bei Frau Lehmann. Aber ausgerechnet von ihr auf den Po geschlagen zu werden wollte Sara auf jeden Fall verhindern. Trotz dieser Unwägbarkeiten entschloss sie sich, ihre Mathehausaufgaben nicht zu machen. Sie wollte es drauf ankommen lassen. Vielleicht ging ja ihr Tagtraum in Erfüllung und Herr Möller peitschte ihr den Hintern.
Die Mathestunde am nächsten Tag war ein Reinfall. Entweder Herr Möller hatte es vergessen zu kontrollieren, oder es war ihm egal, oder er hatte sogar bewusst darauf verzichtet; auf jeden Fall fiel nicht auf, dass Sara die Hausaufgaben nicht hatte. Und so offensichtlich um Prügel betteln, indem sie ungefragt sagte, dass sie sie nicht habe, wollte sie natürlich auch nicht.
In der ersten großen Pause, in der Sara wie so oft allein auf dem Hof herumstand, hörte sie ein Gespräch mit, in dem sich ein paar Neuntklässler ganz aufgeregt darüber unterhielten, dass Frau Lehmann ihre Reitgerte sofort zum Einsatz gebracht hatte. Einzelheiten konnte Sara nicht heraushören. Zumindest schien klar, dass die Geschichtslehrerin wohl wirklich nicht gescherzt hatte.
In der zweiten großen Pause sprach sich herum, wer die unglückselige Person war, an der Frau Lehmann ihre Gerte ausprobiert, oder besser: vorgeführt, hatte. Es war ein Mädchen namens Valentina. Ihre Eltern waren Italiener und hatten ein Eiscafé in der Stadt. Wenn es im Sommer richtig voll war, musste Valentina manchmal helfen. Ein mediterraner Typ, ähnlich wie Sara: eher klein, schlank, dunkelhaarig, meist sexy gekleidet, mit schönen Augen, die sie auch gekonnt einsetzte. Zumindest hatte Sara sie bisher so wahrgenommen. Auffällig war auch, dass Valentina immer barfuß kellnerte. Ob sie das einfach nur bequem fand oder sich der erotischen Wirkung auf einige bewusst war? Gut gekannt hatte Sara die hübsche Italienerin nicht, aber da Sara von den Mädchen ihrer eigenen Klasse fast schon geschnitten wurde, ergab es sich hin und wieder, dass sie sich mit Schülerinnen sowohl der Parallelklassen als auch der Klassen eins drunter unterhielt.
Valentina selbst war in der Pause nicht zu sehen, aber ihre Klassenkameraden hatten die Neuigkeit verbreitet. Nicht alle schienen schockiert. Sara fand Valentina eigentlich ganz nett, aber auf viele wirkte sie unnahbar. Vor allem unter den Mädchen hatte sie nicht viele Fans, eine weitere Parallele zu Sara.
Ende Teil 3