Der Beruf ist nichts weiter als ein bisschen Tünche, ein bisschen Fassade, dass die eigentliche Natur nur notdürftig kaschiert. Gleich, ob jemand Arzt, Rechtsanwalt, LKW-Fahrer oder Fischer ist – im Herzen ist er ein Mann, vom Inhalt der Hose ganz zu schweigen.
Allerweltsweisheiten vielleicht, aber deswegen nicht weniger richtig.
Ich saß in dem Bürostuhl, der schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hatte, in einem Büro, dass diesen Namen eigentlich nicht verdiente, vor einer Frau, die mit dieser Bezeichnung wirklich nur notdürftig und kümmerlich beschrieben war.
Ich bin wirklich nicht leicht aus der Fassung zu bringen. 25 Jahre Berufserfahrung als Kaufhausdetektiv lassen einen gelassen und müde werden und so leicht überrascht einen nichts mehr unter der Sonne.
Doch diese Frau machte mich sprachlos.
Wenn ich ehrlich bin, bin ich mir gar nicht ganz so sicher, ob es die Frau als Ganzes war, oder einfach ihr Busen.
Der Begriff Busen war in ihrem Zusammenhang schlichtweg eine Untertreibung, eine Verharmlosung, eine Verniedlichung.
Wenn diese Frau einen Busen hat, dann hatten alle übrigen Frauen, die ich kannte, nur kleine, verkümmerte und vertrocknete Hügelchen auf den Rippen, zarte, leichte Ausbuchtungen in der Bluse, kaum wahrnehmbar und nennenswert.
Diese Frau hatte einen Busen, der mir den Atem nahm, der mich innerlich lähmte und gleichzeitig wie unter Starkstrom erzittern ließ.
Meine Mutter hatte mir immer erzählt, dass sie mich bis zum Alter von zwei Jahren gestillt hatte und dass ich sie in dieser Zeit ausgesaugt hätte. Ich hätte an ihren Warzen genuckelt wie ein Ertrinkender und sie hätte Milch produziert in Tag– und Nachtschichten und wäre trotzdem kaum meinem Hunger gerecht geworden.
Wenn ich all die Milch, all die warme Fülle von zwei Jahren in den Busen der Frau vor mir gepumpt hätte – alles hätte spielerisch Platz gehabt und er wäre noch lange nicht voll gewesen.
Als Mann kenne ich mich natürlich nicht so in den Wäschegrößen von Frauen aus, aber rein von der Einschätzung mehr mussten diese Brüste in einer Kategorie sein, die die Körbchengrößen F und G klein und mickrig erscheinen ließen.
Ich hatte während meiner ganzen Berufsjahre noch nie unter Verfolgungswahn gelitten. Ganz gleich, was immer ich auch erlebt hatte, ich konnte damit umgehen und wenn es Feierabend war, ließ ich alle Erfahrungen im Betrieb zurück und lebte mein ganz normales Leben.
Jetzt war aber plötzlich alles ganz anders.
Ich hatte das Gefühl, diese Brüste würden mich anstarren, provokant und gleichzeitig seit Ewigkeiten vertraut. Sie riefen lockend meinen Namen, sie ließen meine Haut erglühen und meine Hose zum gnadenlos einschnürenden Kerker werden.
Die beiden Riesenbrüste schienen sich keck einander zuzuzwinkern und sich zu amüsieren über mein galoppierendes Herz, über meinen Kloss im Hals und über meine zitternden Finger, die sich um den Kugelschreiber krallten.
Die Frau sah mich lächelnd an.
In meinem Beruf lernt man Menschen hauptsächlich von ihren Schattenseiten her kennen. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, auf eine Anhaltung bzw. Festnahme durch einen Kaufhausdetektiv zu reagieren.
Die einen werden wütend und aggressiv, die anderen wollen zum Verhandeln anfangen, wieder andere brechen in Tränen aus, es gibt welche, die drohen, welche, die versuchen zu kämpfen, welche, die ihr Heil in der Flucht versuchen und welche, die sich komplett in ihr Schicksal fügen und lethargisch werden.
Mit all diesen Varianten hatte ich schon unzählige Male Bekanntschaft geschlossen, sie waren mir vertraut und ich wußte aus Erfahrung, wie mit ihnen umzugehen.
Dass mich eine verhaftete, mutmaßliche Ladendiebin anlächelte, war mir neu, und machte mir die Sache wahrlich nicht leichter.
Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass es in schwierigen Situationen hilfreich sein kann, sich an ein vertrautes und gewohntes Ritual zu halten.
Ich öffnete die Schublade meines Schreibtisches, ärgerte mich, dass sie – wie gewohnt – klemmte und fühlte mich die ganze Zeit durch die Brüste angestarrt. Es war, als ob rießengroße Schweinwerfer auf mich gerichtet waren, die jede Ecke und jeden Winkel meiner Seele ausleuchteten und die die Leuchtkraft und Stärke hatten, alle meinen nie eingestandenen erotischen Phantasien und Wunschvorstellungen aus dem Dunkel der Seele in das gleißende Licht des Alltags zu zerren.
Ich legte das Formular auf den Tisch, und sah meiner Gegenüber in die Augen. Sie lächelte immer noch.
Irgendwie bekam ich das verdammte Gefühl nicht los, dass sie es eigentlich war, die die Situation bestimmte und lenkte, nicht ich.
Dieses nagende und bohrende Gefühl machte es mir nicht leichter.
„Name?“ hörte ich mich sagen, und meine Stimme klang seltsam belegt, so als hätte meine Stimme eine unendlich weite Reise hinter sich, bevor sie vernehmbar wurde.
„Vanessa“.
Sie hatte eine Stimme, die zu ihrer Figur passte. Weich, samtig, rundlich, und gleichzeitig mit einer Duftnote wie nach Rauch und Harz, an dem alles kleben blieb, was unvorsichtigerweise in ihre Nähe kam.
Vanessa, ein schöner Name.
Ich stellte mir vor, wie ich ihren Namen sagte, wenn ich Seite an Seite mir ihr durch die Straßen unserer Stadt flanierte, dass ich den Namen stöhnte, wenn ich mit ihr im Bett lag, wie ich ihren Namen zärtlich ins Ohr flüsterte, wenn sie sich mir hingab…
Das Lächeln von Vanessa war eine Spur breiter geworden.
„Nachname?“
„Reicht ihnen Vanessa denn nicht?“
So konnte es nicht weitergehen. Ich hatte keine Lust, mich in meinem eigenen Büro zum Kasperl zu machen.
Instinkt stand ich auf.
„Jetzt hören Sie mal“, hörte ich mich viel lauter als notwendig sagen, „entweder sie kooperieren mit mir oder ich bin leider gezwungen, die Polizei zu holen“.
Ich ärgerte mich. Ein Detektiv, der mit der Polizei drohen musste, war ein schwacher Detektiv, einer, der nicht mehr weiter wusste.
„Kooperieren?“
„Ja, kooperieren.
Ich brauche ihren Namen, ihre Adresse, ihren Arbeitgeber, alle die Daten, die notwendig sind, um ihre Identität sicher festzustellen“.
„Wozu brauchen sie denn meine Adresse?“
Der Blick ihrer Augen legte sich über meine Pupillen.
Es war schon Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte her, dass ich wegen einer Frau schwache Knie bekommen hatte, jetzt war es soweit.
Ich ließ mich auf der Fensterbank nieder, um nicht flach vor ihr auf den Boden zu liegen.
Die Kühle des Fensterglases in meinem Rücken beruhigte mein jagendes und gallopierendes Herz.
Sie hob den Kopf.
Was ich bisher nicht gewusst hatte, was mir auch in dieser Form nie aufgefallen war, ist, dass Kopf und Nackenmuskulatur bei der Frau mit ihrer Brustmuskulatur in Verbindung stehen.
Die Folge davon ist, dass ich befürchtete, ihr Busen würde jeden Augenblick ihre Kleidung sprengen, und die Knöpfe ihrer Bluse würden mir wie Granatsplitter um die Ohren sausen.
Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis Vanessa die Bluse platze.
Mein Verstand wusste, dass ich bei mir in meinem Büro war, mein Körper fühlte sich aber an, als ob ich in der Sauna wäre und der Aufguss jeden Augenblick mir den Schweiß aus allen Poren treiben würde.
Zwei runde, riesige, überdimensionale Heizstrahler sandten Welle auf Welle von Hitze und prickelnder Energie in meinen Körper und ließen mich rot anlaufen wie einen Krebs im kochenden Wasser und nach Luft schnappen.
Vanessa stand auf.
Ich kam mir vor, wie ein Tier im Käfig. Längst war mir alle Kompetenz entglitten.
Zwei wunderschöne, pralle, riesige Brüste hatten mich Schach Matt gesetzt, bevor ich auch nur einen Zug getan hatte.
Ich hätte schon längst was unternehmen sollen.
Statt dessen lehnte ich am Fenster und beobachtete die ganze Szene wie auf einer überdimensionalen Leinwand von Außen.
„Ich verspreche ihnen, ich werde nicht die Flucht ergreifen. Aber mir ist es zu stickig hier herinnen. Ich bekomme keine Luft!“
Alleine ihre Stimme brachte alles in mir in Aufruhr. Ich wollte, dass sie weiterredete, dass sie nicht aufhörte, ich wollte sie reden hören und sich bewegen sehen, jetzt im Augenblick, immer, eine ganze lange Ewigkeit lang.
Alles war unwichtig geworden. Mein Beruf, meine Träume, mein bisherhiger Lebensverlauf, meine Kollegen, meine Pläne, einfach alles.
Meine Augen weiteten sich.
Ein letzter Rest von Verstand, der mir anscheinend noch geblieben war, rief verzweifelt Alarm und probte den Aufstand.
Was hatte die Frau vor? Ich musste zur Türe laufen, jetzt, sofort, ihr den Weg versperren, zur Not meine Kollegen um Hilfe rufen – irgendetwas musste geschehen.
Nichts dergleichen.
Ihre Augen hatten mich gefangen und ich hatte mich ergeben, noch ehe es zu Schlacht gekommen war.
Wie eine Marionette stand ich auf, ging zur Garadrobe, wie in Zeitlupe, surreal, unwirklich, nahm gehorsam meine Jacke und ging zur Türe.
Auf dem Weg dorthin musste ich an Vanessa vorbei. Ich ging wie in Trance und nahm gleichzeitig jede kleinste Kleinigkeit war – alles, was sonst im Alltag einfach an mir vorbeigegangen wäre.
Jetzt kam die Stunde der Wahrheit.
In meinem Büro war es viel zu eng, um an ihr vorbeizukommen, ohne sie zu berühren.
Sie würde zurückweichen, sich würde sich zurücknehmen, sie würde den Triumph auskosten, mich am Band zu haben und gleichzeitig jede Nähe vermeiden.
Sie würde mit mir umgehen wie Frauen umgehen mit toten Käfern oder ekeligen, fetten Spinnen, vor denen sie sich grausten.
Diese Frau vor mir hatte es nicht nötig, einem kleinen Kaufhausdetektiv zu gefallen.
Diese Frau spielte in einer anderen Liga.
Nichts dergleichen geschah.
Sie stand da, mit ihren großen, weichen, braunen Augen, sah mir offen ins Gesicht und blieb, wo sie war.
Ich wollte die Situation nicht ausnutzen, ich wollte sie nicht auf eine primitive, derbe Art berühren.
Ich versuchte mich so schmal wie möglich zu machen, mich zurückzunehmen, so weit es ging – umsonst.
Wie in Zeitlupe streifte ich an ihren großen, festen, ausladenden Brüsten vorbei – sanft wie ein Schmetterlingsflügel.
Ich erstarrte – doch ihre Augen strahlten mich an.
Ich öffnete die Türe.