UNTER YOUNGSTERN 1. Teil
Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich damals war. Irgendwo zwischen sechzehn und achtzehn. Tommy war ein Junge aus der Nachbarschaft, etwa im gleichen Alter. Die Konkurrenz hatte uns zusammengebracht. Der Wettstreit wer das schönste und schnellste Moped hatte. Nachmittags und am Wochenende experimentierten wir. Nicht nur, dass uns ein Vetter von Tommy die Zylinderköpfe abgeschliffen, unseren Mopeds damit eine höhere Verdichtung beschert hatte. Wir testeten verschieden große Ritzel, Auspuffkrümmer und Zündkerzen. Kurz, unsere frisierten Dinger kamen auf sagenhafte siebzig Stundenkilometer. Bei Rückenwind oder bergab, jedenfalls ohne Sozius. Tommys Fahrzeug war noch etwas schneller als meins. Der Sachs-Motor lief mit Luftkühlung, während an meiner Zündapp der Ventilator der Zwangskühlung noch Bruchteile eines PS verbrauchte.
In den Osterferien ging’s zum ersten Mal auf große Fahrt. Es war Ende April und für die Jahreszeit fast schon zu trocken und warm, also ideal für unsere Tour mit den Zweirädern. Wir hatten die Route nicht geplant, folgten einfach dem Lauf des Rheins nach Süden, bogen dann einer plötzlichen Eingebung folgend von Bingen aus ins Nahe Tal ab. Schon kurz hinter Bad Kreuznach trieb es uns wieder südwärts, durchquerten den Pfälzer Wald fast in der gesamten Länge. Die Landschaft war abenteuerlich, wir waren bester Stimmung.
Am frühen Abend erreichten wir Dahn, ein kleines Städtchen an der Lauter, wurden angezogen von den malerischen Ruinen und Felsformationen. Ein Quartier war schnell gefunden. Doppelzimmer, sogar mit Dusche. Aus dem Fenster konnte man oberhalb eine Felsformation sehen, den Wachtfelsen, wie unsere Wirtin uns mitteilte. Ich schlug Tommy vor, von dort oben den Sonnenuntergang zu sehen, und mein Freund war von der Idee begeistert. Der Aufstieg machte keine Probleme. Wir saßen bald am Gipfel, hatten freie Sicht nach Westen, wo sich der Himmel schon rot gefärbt hatte, und die Sonne knapp über dem Horizont stand. Tommys Atem ging vom Aufstieg immer noch etwas schneller. Irgendetwas in der Art, wie sich seine Brust hob und senkte beeindruckte mich. Seine schlanken Oberschenkel, seine Schultern, seine im roten Licht schimmernden, blonden Haare, die sich leicht im Abendwind bewegten, der leichte Schweiß Geruch seines Körpers.
Ich konnte nicht mehr richtig denken, wagte kaum mehr, mich zu bewegen, saß einfach still und schweigend. Etwas Ursprüngliches, um nicht zu sagen Primitives schien den Versuch zu machen, die Kontrolle über mich zu übernehmen. Tommy redete wie ein Wasserfall, sprach über die Erlebnisse der letzten Tage. Ich konnte ihm kaum folgen, antwortete ihm nicht, saß da und blickte in die letzten Strahlen der Sonne. Tommy hielt meine Hand. „Sag‘ mal, ist alles in Ordnung mit dir?“ Ich nickte, aber ich wusste es nicht, fühlte seine Hand warm in meiner.
Eine Stunde war vergangen. Wir saßen im vollen Mondlicht, sprachen über die Sterne und unsere Zukunft. Dann ging uns der Gesprächsstoff aus. Wir lehnten Seite an Seite, spürten die Wärme unserer Körper. Dann nichts mehr. Eine innere Spannung griff nach mir, ließ mich erstarren, lähmte meine Gedanken. Zauber der Nacht. Tommy strich mir über die Haare, über mein Gesicht, löste nur ganz langsam meine Befangenheit. Plötzlich konnte ich mich wieder bewegen, griff nach seiner Hand.
„Vielleicht sollten wir reden. Bleib‘ einfach neben mir sitzen, und wir unterhalten uns … “ Tommys Blicke schienen mich zu durchdringen, seine Hände landeten auf meinen Schultern. „Sicher. Aber mit dir ist alles ok?“ “ … es ist schön hier … und du bist schön …“ Eigentlich waren es ein Dutzend Dinge, die ich ihm gerne sagen wollte, aber das war das Einzige, was ich raus brachte. Tommy lachte glockenhell, hielt meine Hand. Wir sprachen über die Sterne, die Milchstraße, über Mädchen, und ich gab zu, keine Freundin zu haben.
Ich wollte meine Träume erfüllen, aber in diesem Augenblick wusste ich nicht mehr, was meine Träume waren. Wir lachten. Ich küsste Tommy auf die Wange. Es schien mir natürlich, dass als Antwort seine Lippen kurz meine berührten.
Seine Hände strichen zart über meinen Rücken. Tommys Körper bebte, als meine Fingernägel über seinen Rücken schabten, dann meine Hand versuchsweise tiefer glitt und in seine strammen Hinterbacken griff. Ich fragte ihn flüsternd, ob alles in Ordnung sein. Tommy antwortete nicht, drückte mich in einer plötzlichen Bewegung zu Boden, lag auf mir. Seine Hände griffen nach meinen Ellbogen, hielten mich auf der Erde fest. Wieder dieses helle Lachen. „Du, du bist auch schön. Verrückter Kerl! Was soll man nur mit dir anstellen?“