Aus dem Netz, für das Netz.
Helenas Familie 11: Familientreffen
Es war Samstag Nachmittag, Walter stand am Terrassenfenster und hatte
seine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er blickte in den Garten
hinaus, draußen nieselte es, der Himmel war grau in grau. Helena räumte
in der Küche Geschirr weg, sie fragte zu ihrem Mann hinüber:
„Wann hast du gesagt, dass sie kommen?“
„Linda und Kevin sollten eigentlich schon da sein, und Susanne ist noch
einkaufen gegangen, sie kommt vielleicht etwas später.“
„Ein eigenartiges Gefühl, Walter, dass die Kinder uns besuchen und nicht
mehr einfach nach Hause kommen…“
„Nun, das ist der Lauf der Dinge, Helena, alt genug sind sie ja, um
alleine irgendwo… ich glaube, ich höre Kevins Wagen.“
Walter eilte in den Flur und schaute durch das Fenster, dann öffnete er
die Tür. Helena folgte ihm. Kevin parkte vor dem Haus, stieg aus und
umarmte seine Eltern. Als sie hineingehen wollten, sahen sie Lindas Wagen
in die Quartierstrasse einmünden. Sie warteten, bis ihre Tochter bei
ihnen war und sie begrüßt hatte.
„Kommt rein, Kinder“, rief Helena, „draußen werdet ihr nass.“
Sie betraten das Haus, und die Geschwister setzten sich im Wohnzimmer an
den Esstisch. Kevin legte einen dicken Packen Blätter vor sich. Walter
kam herein, ebenfalls mit einem Stapel Blätter unter dem Arm, er fragte
Linda:
„Wo ist dein Exemplar?… ich habe doch jedem letzten Mittwoch eins
zugeschickt.“
„Ach, das liegt noch zu Hause, Papa, ich hab’s vergessen.“
„Dass du mir das Zeug ja vernichtest, wenn du zu Hause bist.“
„Ja Papa, werde ich.“
Die Türglocke läutete, es war Susanne. An der einen Hand hatte sie ihr
Söhnchen Thomas, unter dem anderen Arm ein dickes Durcheinander von
Blättern. Klein Thomas konnte bereits laufen und stolperte auf Linda zu,
die ihn mit offenen Armen empfing. Sie hob Thomas hoch und drehte ihn
lachend im Kreis.
„Mann, ist der aber gewachsen“, staunte Kevin, „ich habe ihn eine
Ewigkeit nicht mehr gesehen… kann er schon lange laufen?“
Susanne umarmte ihn zur Begrüßung:
„Schon ein Weilchen, Kevin… ja, seit du nicht mehr hier wohnst, sieht
man dich nicht mehr oft.“
Susanne umarmte die andern und brachte ihren Thomas ins Nebenzimmer zu
den Spielsachen. Sie kam zurück, nahm am Tisch Platz und legte ihre
Papierbeige vor sich auf die Tischplatte. Walter blieb hinter seinem
Stuhl stehen und rückte seine Krawatte zurecht. Linda bat ihn:
„Ach Papa, zieh deine Krawatte aus, das sieht so komisch aus zu Hause.“
Walter wandte sich an die Sitzenden:
„Ich möchte euch herzlich begrüßen… ihr kennt ja den Grund unseres
Treffens. Wie ich sehe, habt ihr alle ein Exemplar von mir erhalten, ihr
wisst also, um was es geht… und du Linda, bitte, zerstöre das Zeug
sobald als möglich.“
„Ja, sicher Papa, aber zieh endlich die Krawatte aus.“
Kevin fragte seinen Vater, der umständlich seinen Krawattenknopf vom
verschwitzten Kragen löste:
„Wie bist du zu diesen Texten gekommen, Paps?“
Walter begann zu erklären:
„Zuerst hatte ich einen Anruf von einer Person.“
„War es ein Mann oder eine Frau?“
„Der Anruf kam auf mein Handy, es war laut im Büro, und die Verbindung
war schlecht… ich weiß nicht.“
Walter dachte kurz nach und erbleichte:
„Bei uns in der Bank werden alle Telefonate aufgezeichnet… mein Gott!
Hätte die Person über die Zentrale angerufen, wäre das Gespräch jetzt auf
Band… Susanne, kennst du meine Handynummer?“
„Ja Walter, du hast sie mir letzten Sommer bei unserem Ausflug gegeben…
warum?“
„Ach, nur so… nun, die Stimme klang recht freundlich, aber ich kann
nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war, ich wusste ja noch gar
nicht, um was es überhaupt ging.“
„Was hat sie gesagt, die Stimme?“
„Wörtlich weiß ich das nicht mehr so genau, ich wurde zwischen zwei
Vorstandssitzungen angerufen… die Stimme hat sich bedankt für unser
Mitwirken bei der Geschichte, wir seien die ideale Vorlage gewesen, und
wir würden natürlich davon eine Kopie erhalten. Am nächsten Morgen
brachte mir Frau Zimmerlein, meine Sekretärin, wie immer die Post,
vorsortiert in Aktenhüllen, da lag es dann vor mir.“
„Hat es Frau Zimmerlein gelesen?“
„Mach mich nicht verrückt Linda… ich hoffe… ich glaube nicht, Frau
Zimmerlein hätte bestimmt sofort gekündigt.“
Walter holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich Schweißtropfen von
der Stirn. Linda wollte wissen:
„War ein Brief dabei?“
„Nein, nur was ich euch geschickt habe, die Geschichten und diese
Internetadresse, sonst nichts. Ich musste mich abends, als alle weg
waren, ans Kopiergerät schleichen, um euch ein Exemplar zuschicken zu
können.“
„Pa“, meldete sich Kevin, „das nächste Mal gibst du uns bloß die
Internetadresse, wir haben alle zu Hause einen PC.“
„Was heißt hier das nächste Mal?… du machst einen schlechten Scherz,
mein Junge… der soll aufhören damit!“
„Also doch ein Mann, der das geschrieben hat.“
„Ich weiß nicht… aber du glaubst doch nicht, eine Frau wäre zu einem
solchen Unfug fähig.“
„Vielleicht unterschätzt du die Frauen“, warf Linda ein.
„Ach Linda, das ist wohl der falsche Moment…“
„Der Moment ist immer falsch“, gab Linda schnippisch zurück.
„Etwas ist schon merkwürdig“, wunderte sich Susanne, „der kennt all
unsere Namen, er weiß sogar, dass Helena und ich befreundet sind.“
„Dieser Schmierfink weiß auch, dass du einmal unser Hausmädchen warst“,
erzürnte sich Walter.
„Das ist aber schon lange her“, gab Helena zu bedenken, „glaubst du
Walter, dass wir seit Jahren beobachtet werden?“
„Ich weiß nicht, ob sich einer über eine solch lange Zeit die Mühe macht,
eine Familie zu observieren, um nachher einen erfundenen Haufen von
Obszönitäten aufs Papier zu klatschen…“
„… und zu veröffentlichen“, seufzte Helena.
Walter presste seinen Zeigfinger auf den Papierstapel und schaute drohend
in die Runde:
„Das ganze Geschmiere hier ist reine Fiktion!“
„Ja, alles Fiktion, aber mit ‚ck‘ geschrieben.“
„Es ist nicht der Moment für Witze, Kevin!“
„Der kennt meinen Lieblingsplatz fürs Sonnenbaden draußen, dort neben dem
Rosenstock“, kam Linda in den Sinn.
„Auch unsere griechische Säule hat er beschrieben“, sorgte sich Helena.
„Und er weiß sogar, dass sie aus Gips ist“, bemerkte Kevin lakonisch.
Helena schlug vor:
„Vielleicht lassen wir sie besser verschwinden, Walter?“
„Ja, tun wir das… mir hat sie ohnehin nie gefallen.“
Helena blickte in die Runde:
„Hat je einmal eines von euch etwas festgestellt, das so ausgesehen hat
wie eine Observierung?“
Alle schauten fragend um sich.
„Nein.“
„Mir ist nie etwas aufgefallen.“
Auch Linda fand:
„Nein Paps, um unser Haus herum gab’s all die Jahre nicht einmal einen
einzigen Spanner…“
„Wieso um alles in der Welt weiß dieser Mistkerl so viele Dinge über uns?“
„Ach siehst du, Walter“, versuchte Helena ihren Mann zu beruhigen, „es
gibt viele Häuser mit Liegen neben einem Rosenstock, Wohnzimmer mit einer
griechischen Gipssäule und…“
„… aber es gibt wohl kaum Familien mit einer Helena, einem Walter,
einer Linda und einem Kevin… und dazu noch eine Freundin der Dame des
Hauses mit dem Namen Susanne!“ ärgerte er sich.
Susanne stützte sich mit gespreizten Fingern auf die Tischplatte und
neigte sich gegen Walter:
„Entschuldige bitte, dass ich und Helena befreundet sind.“
„So wollte ich es nicht sagen, Susanne… aber hier verletzt jemand
unsere Privatsphäre aufs Gröbste, indem er uns übelste Aktivitäten
andichtet und…“
„Ach Paps, nenn’s doch beim Namen“, unterbrach ihn Kevin, „dieser
sogenannte Autor schreibt müde Klamotten, und in seinen Fickgeschichten
spielen wir die Hauptrolle.“
„Eben ja!… eh, stell dir mal vor, wenn das jemand erfährt… dieser
Gurgel soll damit aufhören!“
„’gurgy‘ Paps, ‚gurgy‘ ist englisch.“
„Wie auch immer!… wenn ich diesen Scheißkerl in die Finger…“
„Walter!“
„Entschuldige Liebes.“
Helena wandte sich an die Runde:
„Ist eines von euch auf diese Geschichten angesprochen worden?“
Alle schüttelten den Kopf.
„Also siehst du, Walter, ich denke, es wird dabei bleiben. Kaum jemand in
unserem Ort wird solchen Schweinekram lesen und dabei an unsere Familie
denken… ich glaube überhaupt nicht, dass jemand sowas liest.“
Linda dachte laut weiter:
„Und wenn es doch jemand gelesen hat und uns zu erkennen glaubt, wird er
es bestimmt nicht sagen, sonst würde er sich ja outen als Leser von
Rammelgeschichten.“
Kevin schaute seinen Vater grinsend an:
„Papa, hat deine Vorzimmerdame einen PC zu Hause?“
„Ja, hat sie einmal erwähnt… warum?“
„Bist du sicher, dass Frau Zimmerlein zu Hause nicht solche Geschichten
am Bildschirm liest? Vielleicht hat sie ja unsere Geschichten gelesen,
bevor sie diese auf dein Pult legte, womöglich hatte sie bloß
Verständnis.“
„Werde nicht unverschämt, mein Sohn! Frau Zimmerlein?… nie und
nimmer!… ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass sie sich für Sex
interessiert.“
„Die Arme“, seufzte Linda.
Walter fasste sich:
„Also, ich halte fest: ob Observierung, ob Zufall oder nicht, eine
Tatsache bleibt, ich hatte einen Anruf auf mein Handy.“
Er schaute mit bohrendem Blick von einem zum andern und fragte mit
gedämpfter Stimme:
„Hat jemand von euch meine Handynummer weitergegeben?“
Alle schüttelten den Kopf. Susanne meldete sich:
„Ach so, deshalb hast du mich vorher gefragt, ob ich deine Handynummer
kenne.“
„Susanne, diese Nummer ist nur der Familie bekannt, niemandem sonst. Ich
glaube nicht, dass die Kinder sie weitergegeben haben, warum auch?…
Herrgott, von irgendjemandem muss doch dieser Sauhund meine Handynummer
haben!“
Helena gestreng:
„Walter! Bitte wähle deine Worte!“
Susannes Augen wurden feucht, Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen:
„Es tut mir leid, Walter, wegen der Kritzelei von diesem ‚gurgy‘,
schließlich betrifft es mich genauso wie deine Familie. Ich verstehe,
dass du wütend bist, wenn du aber einen Sündenbock brauchst, so such dir
gefälligst jemand andern… adieu!“
Mit einem Ruck erhob sie sich und verschwand im Nebenzimmer, um ihren
Sohn zu holen. Helena empörte sich:
„Da siehst du wieder, Walter, was du angerichtet hast… bitte zügle dein
Temperament!“
Sie stand auf und ging in den Flur, wo Susanne in ihren Mantel schlüpfte.
Helena umarmte ihre Freundin und versuchte sie zu trösten:
„Entschuldige, Susanne, Walter meint es nicht so, er hat furchtbare
Angst, dass die Leute deswegen über uns zu sprechen anfangen… er wird
sich bei dir entschuldigen, dafür sorge ich.“
„Ach Helena“, schluchzte Susanne, „irgendwie habe ich das Gefühl, dass
sich Walter bei dieser Sache an die Zeit erinnert, als ich bei euch
Hausmädchen war, vielleicht hat er immer noch ein schlechtes Gewissen
wegen damals… bist du mir deswegen noch böse?“
„I wo, das ist schon so lange her… glaubst du, wir wären sonst über all
die Jahre Freundinnen geblieben?“
Helena herzte Susanne erneut. Diese wischte sich die Tränen von den
Wangen und verabschiedete sich, sie nahm klein Thomas bei der Hand und
verließ das Haus. Helena ging zurück zum Familientisch und setzte sich.
„Darüber reden wir noch, mein Lieber“, rügte sie ihren Mann.
„Ich wollte sie nicht verärgern Helena… aber fragen wird man doch wohl
noch dürfen… nichtsdestotrotz, sorgen wir dafür, dass dieser
erbärmliche Schund von der Welt verschwindet!“
Walter packte die Blätter, die Susanne hatte liegen lassen, er ging
hinaus auf die Terrasse und warf den Stapel auf den Gartengrill. Die
anderen am Tisch blickten ihm mit offenem Mund nach und beobachteten, wie
er Unmengen von Anzündflüssigkeit über die Texte goss. Helena sorgte sich:
„Walter, pass auf, wenn du die Blätter anzün…“
Es war zu spät, eine Stichflamme ließ Walter zurückweichen. Helena sprang
zu ihm hinaus und stellte fest, dass seine Augenbrauen von der Hitze
angekräuselt waren. Während sie ins Haus zurückkehrte und auf die Küche
zusteuerte, schüttelte sie den Kopf und murmelte:
„Wie die Kinder, mein Walter, immer am Zündeln.“
Kevin ging nach draußen und schaute seinem Vater zu, der die Papiere
bündelweise ins Feuer warf:
„Ich habe dabei kein gutes Gefühl, Pa.“
„Fort ist fort und weg ist weg“, hustete er durch den Qualm, „solche
Dreckbücher müssen vernichtet werden!“
„Ich weiß nicht“, erwiderte Kevin und blickte ins Feuer, „sowas gab’s
doch schon einmal hier, gar nicht weit von uns…“
Walter schaute zu ihm, dann in den Himmel, er verwarf seine Hände:
„Mein Sohn!… von meinem Sohn muss ich mir sowas sagen lassen!…“
Er fuhr weiter, die Geschichten zu verbrennen. Kevin trat aus dem Rauch
und schlenderte in den Garten hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, Linda
saß auf der Liege und betrachtete den Rosenstock vor sich. Kevin wischte
die Regentropfen von der Sitzfläche und setzte sich neben seine
Schwester. Er legte die Arme auf seine Knie und blickte zu seinem Vater
hinüber:
„Papa ist ein bisschen außer sich.“
„Ja Kevin, kann ich verstehen… er hat Angst wegen den Nachbarn, und
wegen den Leuten in der Bank.“
„Unser Pa versteht aber nicht, dass das Zeug im Internet herumliegt…
verbrennen bringt nichts, höchstens eine Rauchvergiftung.“
Kevin betrachtete den Rosenstock und nickte nachdenklich:
„Hier ist also der Tatort.“
„Ja… ich hoffe nur, Papa wird den Rosenstock nicht ausreißen… sie
können ja die Liege an einen andern Platz rücken… es gibt viele Gärten
mit Rosenstöcken und Liegen.“
Kevin schaute um sich und grinste:
„Tatsächlich habe ich dir hier ab und zu den Rücken eingeölt.“
„Und tatsächlich hast du mir früher hinter der Duschentür aufgelauert…“
„… und du vor der Dusche gewartet!“ lachte Kevin.
„Ach komm Kevin, wir waren Kinder.“
„Du hast deine Blätter nicht mitgebracht, Linda, dabei ging es doch bei
unserem Treffen genau um die.“
„Ich habe sie nicht vergessen, Kevin, mein Freund hat sie gefunden…“
„… und gelesen?“
„Ja, hat er.“
„Was meint er dazu?“
„Er… er möchte einige Dinge ausprobieren.“
Kevin lachte laut:
„Was denn?“
„Ach… du glaubst doch nicht etwa, dass ich dir… kläre das bitte mit
deiner eigenen Freundin… hast du es ihr gezeigt?“
„Eh… nein… weißt du, wir sind noch nicht lange zusammen, ich weiß
nicht, wie sie reagieren würde.“
„Ach, ihr Männer seid doch Angsthasen! Zeig’s ihr, sie wird es lesen,
bestimmt… und zwar vom Anfang bis zum Ende, glaub’s mir.“
„Meinst du?“
„Sicher… aber Vorsicht“, kicherte Linda, „auch sie wird mit dir ein
paar Sachen ausprobieren wollen.“
Kevin schüttelte den Kopf und klatschte sich auf die Schenkel:
„Deine Fantasie möchte ich haben…“
Er erhob sich und ging hinein. Mama wusch Geschirr, er stand in der
Küchentür, als er sie fragte:
„Du hast gar nicht viel gesagt, Ma… was denkst du über die ganze Sache?“
„Du meinst wegen dem Ausspionieren?“
„Ja… ist immerhin verblüffend, diese Übereinstimmungen…“
„Ach Kevin, ich glaube nicht, dass uns jemand in unserem Haus beobachtet,
viel eher denke ich, dass da jemand in unsere Köpfe geschaut hat… je
mehr sich eines von uns darüber ärgert, desto mehr stelle ich mir die
Frage, ob… ich denke, ich werde mich ein bisschen um Walter kümmern
müssen…“
Ihre Tochter kam dazu:
„Ich hoffe, Ma, du nimmst dir die Sache nicht so zu Herzen wie Papa, er
ist ziemlich wütend.“
„Mach dir keine Sorgen, Kleines, ich nehme nicht an, dass uns jemand
verfolgt… viel eher glaube ich, dass wir uns selber auf den Leim
gekrochen sind.“
Linda schaute auf ihre Uhr:
„Ach, schon so spät?… ich habe in einer halben Stunde Tennis, ich muss
gehen.“
Kevin schloss sich ihr an. Sie verabschiedeten sich von den Eltern und
verließen das Haus. Draußen öffnete Kevin seinen Wagen, er lehnte seinen
Arm auf die Wagentür und drehte sich zu Linda:
„Ich habe das Zeug ein paar Mal gelesen, Linda… ich habe den Eindruck,
dass dieser ‚gurgy‘ bloß ein bisschen übt.“
„Soll er doch besser mit seiner Freundin üben…“
„Wahrscheinlich tut er beides“, lachte Kevin und setzte sich.
Linda fragte ihn durch das offene Wagenfenster:
„Was heißt eigentlich ‚gurgy‘?… hast du eine Ahnung?“
„Ja, weiß ich… ach, ich hab’s vergessen mitzubringen… weißt du was?
Ich schicke dir eine Mail mit einem Link zum Bild… morgen hast du’s,
tschüss!“
Kevin startete den Motor und fuhr davon.
Es wurde still im Haus. Walter stand am Terrassenfenster. Helena trat an
seine Seite und legte die Hand auf seine Schulter:
„Wenn ich ehrlich bin, Walter, vermisse ich die Kinder bei uns zu Hause.“
„Ich auch“, antwortete er.
Walter stand noch lange am Fenster und schaute den Aschenflocken nach,
die in den grauen Himmel emporstiegen.
***
Es war Abend nach den Spätnachrichten, Walter und Helena saßen auf der
Couch vor dem Fernseher. Er blickte fragend zu ihr. Sie nickte. Er
schaltete die Geräte aus. Beide schickten sich an schlafen zu gehen.
Walter war auf der Treppe nach oben, als Helena hinter ihm erklärte:
„So mein Lieber, dein Golftag vom nächsten Wochenende ist gestrichen, wir
werden Susanne zum Essen einladen und mit ihr und klein Thomas einen
Ausflug machen… wir haben allen Grund, uns bei ihr zu entschuldigen.“
„Wie du meinst“, murmelte Walter. Er drehte sich um und sah, dass seine
Frau in einem Papierstoß blätterte:
„Herrgott Helena, wieso hast du mir die Blätter nicht zum Verbrennen
gegeben?… was, wenn die hier in unserem Haus liegen bleiben?“
„Keine Sorge, du Angsthase, ich werde sie morgen in den Müll werfen.“
Während Helena ihrem Mann die Treppe hoch folgte, blätterte sie weiter:
„Du Walter, dieser Schreiberling hat sich Sachen auch einfach nur so
ausgedacht… hier zum Beispiel, in der zweiten Geschichte: wir haben gar
kein spezielles Licht in unserem Schlafzimmer.“
„Nein, haben wir nicht.“
„Meinst du nicht, unser Schlafzimmer würde gewinnen, wenn wir darin etwas
wärmeres Licht hätten?“
Walter überlegte:
„Wenn du willst, hole ich nächstes Wochenende sowas im Baumarkt.“
Helena blätterte weiter, als Walter sie erstaunt fragte:
„Hast du da Marker auf die Blätter geklebt?“
„Ja, es sind so viele Seiten, man findet sonst die Stelle nicht… ach
da… im Grunde genommen… eigentlich ist nicht alles Blödsinn, was hier
steht, zum Beispiel das…“
Helena zeigte mit dem Finger auf eine Textstelle und kicherte:
„Das hier könnten wir vielleicht sogar einmal ausprobieren…“
Walter las, dann schaute er seine Frau überrascht an:
„Meinst du?…“
„Ja!“ kicherte Helena und nickte hinter ihrer vorgehaltenen Hand. Walter
raunte ihr zu:
„Wenn du meinst, mein Täubchen…“
Sie traten ins Schlafzimmer. Helena warf ihm einen bestimmten Blick zu
als sie verkündete:
„Heute bleibt das Licht an.“
– ENDE –