Rotkäppchen war glücklich und machte sich auf dem Weg, zurück ins Dorf. Die Sonne war schon tief und bald würde es dunkel sein. Der Wald war für sie aber nicht mehr düster und bedrohlich, sie wusste jetzt das der Wolf gar nicht so böse ist… Sie lief an die ersten Häuser vorbei, der Hauptbrunnen mitten im Dorf war vor ihr und die üblichen Gestalten waren unterwegs. Der Apotheker winkte ihr zu, wie immer sehr nett. Sie ging in die Taverne aber nicht durch der vordere Eingang, sie wollte kein Besoffene begegnen. Stattdessen ging sie um die Ecke und durch den Speicher in die Küche. Ihr Vater kochte Suppe und begrüsste sie mürrisch: „Du bist spät dran…“ wechselte aber zu ein leichtes lächeln „…und jemand wartet auf dich in der Taverne.“ Rotkäppchen stellte das Korb hin und ging durch die schmale Türe. Die Taverne war halb besetzt, trotzdem lautes lachen und derbe Sprüche flogen durch den Laden. Ihre Mutter füllte Krüge mit Wein „Endlich, es ist schon so spät…“ Rotkäppchen erwiderte kurz „Du kennst ja Grossmutter, sie hat mir alte Geschichten erzählt und wollte mir nicht mehr gehen lassen.“ Ihre Mutter lächelte als Bestätigung und dann zeigte auf ein Tisch „Jemand wartet schon seit Stunden auf dich.“ Rotkäppchen blickte Richtung Tisch, konnte aber nicht erkennen wer es war. Das dunkel Mantel mit Kapuze verdeckte jegliche Einblick. Als sie daneben stand meldete sie sich „Ich höre sie haben nach mir verlangt?“ Der unbekannte drehte sein Kopf „Hallo Rotkäppchen, schon lange her…“ und mit einer Hand zieht er die Kapuze auf seine Schultern. Johann! Mit ein Satz umarmte sie ihn. „Nicht so stürmisch… Ich werde eine Weile bleiben, kein Grund mich zu erwürgen…“ Sie lasste von ihm und setzte sich gegenüber „Johann, wo bist du die letzte fünf Jahre gewesen?“ Erst jetzt fallte ihr auf das sein Kopf geschoren war. „Du bist ein Mönch???“ „Ja bin ich. Das war der einzige Weg Medizin und Heilkunde zu lernen ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen.“ Rotkäppchen konnte es nicht fassen: ihre grosse liebe war wieder da und doch verboten. Sie konnte ihre Traurigkeit nicht verbergen „All die Jahre habe ich auf dich gewartet…“ Er streckte seine Hand aus und fasste ihre „Nun bin ich da.“ Sie schaute ihn an, eine Träne floss ihre Wange hinunter „Ja… Und doch erfreut mich das nicht.“ Sie stand auf und rannte davon, hoch in ihr Zimmer und legte sich weinend aufs Bett.
Grünkäppchen wartete bis nach der Dämmerung, niemand sollte sie sehen.
Vorsichtig rannte sie von Gasse zu Gasse bis am Dorfrand und davon. Nach drei mal Klopfen „die Hexe“ öffnete die Türe. „Komm rein, schnell!“ Die alte Dame war eine Kräutersammlerin und nicht gern gesehen im Dorf. Die Hütte war rauchig vom Kamin und roch stark nach Rosmarin und Fett. „Du bist doch die Tochter der Bürgermeister… Was verschafft mir die ehre?“
„Ehrwürdige Frau…“ begann Grünkäppchen, wurde aber unterbrochen „Ehrwürdig? Oh gnädige Gott, das muss was ganz schlimmes sein… Bist du etwa schwanger???“ Grünkäppchen erwiderte schnell „Nein, nein! Ich brauch aber trotzdem ihre diskrete Hilfe.“ „Uhm… Da sonst niemand mit mir spricht, ist die Diskretion schon jetzt sicher… Was willst du von mir?“ Grünkäppchen zog ein Beutel mit fünf Silberlinge „Ich habe eine Verletzung und ich will das keine Narbe entsteht.“ Die alte Dame begutachtet das Beutel „Gut, das lässt sich machen. Wo bist du verletzt?“ Grünkäppchen sichtbar geniert hebte ihr Rock hoch. Die alte Dame schaute sich das genau an „Oh, uhm… Tiefe Schnitte… Das wird eine weile dauern bis es verheilt. Ich habe aber das richtige für dich, warte hier.“ Sie verschwand nach hinten und kam nach ein paar Minuten mit ein Pott zurück. „Morgens und abends einsalben, nach zwei Wochen wird nichts mehr zu sehen sein.“ Grünkäppchen roch am Pott und war nicht begeistert, bedankte sich aber und ging zurück nach Hause.
Grünkäppchen hatte die ganze Woche verbracht ein Racheplan zu schmieden. Nach der übliche Reitstunde, anstatt nach Hause zu reiten, scheute sie ihr Pferd weg und zerriss ihr Kleid. Mit Dornensträucher kratzte sie sich die Arme blutig und mit schauspielerische Tränen rannte sie nach Hause, schreiend. Ihre Mutter heilte ihr entgegen und Grünkäppchen erzählte schluchzend wie sie es knapp schaffte der Wolf zu entkommen. Die Mutter schickte ein Knecht los, ihr Mann zu suchen und begleitete Grünkäppchen hinein um sie zu säubern und verarzten. Der Bürgermeister erschien kurz danach und als er die Berichte hörte, holte er seine Armbrust und ging hinaus „Das muss ein Ende haben! Heute bist du fällig Wolf!“ Mit Hund an der Leine und Armbrust über die Schulter steuerte er ins Wald. Der Jagdhund hatte eine Spur gefunden und leitete der Bürgermeister tief ins Wald. Nach eine eine Weile hörte der Bürgermeister stimmen. Er hielt an, band sein Hund fest und pirschte sich vor. Am rand der Lichtung sah er der Wolf wie er sich mit einer alte Dame an ein Brunnen unterhielt. In rage sprang er aus dem Wald und zielte auf dem Wolf „Du elende Monster!“ Der Wolf war zuerst überrascht aber machte sich zum Angriff bereit. Als der Bürgermeister der Abzug betätigte stellte sich Grossmutter dazwischen. Der Bolzen bohrte sich durch Grossmutters Herz und, durch die grosse Wucht, ging er hindurch und blieb beim Wolf in der vordere Schultern stecken. Grossmutter sackte regungslos zu Boden und der Wolf schäumend vor Wut sprang der Bürgermeister an. Instinktiv griff der Bürgermeister zum Messer und rammte ihn bis zur Schaft ins dichte Pelz bis der Wolf reglos war. Er blieb sitzen bis sich seine Atmung beruhigte und dachte über das geschehene nach.
Er hatte die alte Dame erschossen…
Die Trommler gingen durch das Dorf und verkündeten eine Versammlung beim Rathaus.Man munkelte über die verschiedenste Gründe für die Versammlung. Einige sprachen von Krieg, andere von Pestilenz… Rotkäppchen, wie die meisten andere Dorfbewohner, machte sich auf dem weg zum Platz. Als die Bevölkerung versammelt war, trat der Bürgermeister ans grosse Fenster und verkündete laut „Heute ist ein Tag der Freude!“ Links von ihm stand der Herzog, auf der gegenüberliegende Seite erblickte sie Johann. Die Leuten auf dem Platz verstummten und horchten auf. „Der böse Wolf ist Tot!“ rief der Bürgermeister und hebte sein Arm um der buschige Wolfsschwanz zu zeigen. Grünkäppchen sitze im Rathaus und freute sich über der erfolgreiche Plan. Der Platz jubelte laut. Der Bürgermeister beruhigte die Masse mit beide Händen „Heute ist aber auch ein Tag der Trauer… Bevor ich der Monster erlegen konnte, hatte er bereits eine alte wehrlose Dame gefressen.“ Rotkäppchen traf ein Stich ins Herz: Grossmutter! Der Bürgermeister erzählte weiter wie er der Wolf aufschlitze um die Dame zu retten, vergeblich. Er habe lediglich die tödlichen Überresten begraben können. Weiter erklärte er wie er das Wolf mit Steine füllte und im Brunnen hineinwarf. „Nichts sollte daran erinnern das je so ein Monster existierte!“ Der Herzog trat vor und verkündete das solch eine selbstlose Tat wohl eine Auszeichnung verdiente und kurzerhand erhob der Bürgermeister als Ritter im Adel. Leute jubelten und tanzten während Rotkäppchen und ihre Eltern in stille Trauer nach Hause gingen.
Bei Sonnenaufgang war Rotkäppchen schon auf, sie hatte sowieso eine sehr unruhige Nacht hinter sich, und wollte alsbald im Wald gehen. Sie ging der vertrauten Weg und sie in der Lichtung trat, traf ihr der Schlag: der Wolf sitze vor dem Brunnen! „Du lebst?“ fragte sie und der Wolf schaute sie an „Ja, ich schon…“ Rotkäppchen war verwirrt „Aber der Bürgermeister hat doch ein Wolf getötet…“ Der Wolf senkte sein Haupt „Das war mein Vater. Nun ruht er in diesen Brunnen…“ Sie umarmte der Wolf „Es tut mir Leid… Aber wieso hat er meine Grossmutter gefressen?“ Der Wolf schaute Rotkäppchen direkt in die Augen „Gefressen? Nein… Deine Grossmutter wollte mein Vater schützen und wurde vom Bürgermeister erschossen.“ Rotkäppchen sprang auf „Was??? Der Bürgermeister hat ‚was anderes erzählt!“ Der Wolf schüttelte sein Kopf „Dann lügt er. Ich habe es selbst gesehen. Als es geschah war ich auf der andere Seite der Wald und schiebte Wache.“ Der Wolf erzählte ihr das sein Vater und ihre Grossmutter schon lange befreundet waren. Er erzählte weiter was bei der Begegnung zwischen sein Vater und Grünkäppchen passierte. Rotkäppchen konnte nun die bruchhafte Stücke zusammensetzen: das Stück Teppich bei Grossmutter, Grünkäppchen auf Lebenszeit markiert, die Tötung, … „Das war sicher durch Grünkäppchen eingefädelt! Diese intrigante Göre… Wie soll ich das aber beweisen können?…“ Der Wolf deutete auf das frisch erhobene Grab „Dein Beweis ist hier begraben.“ Rotkäppchen nickte „Du hast recht! Wer soll aber Grossmutter ausgraben ohne sich strafbar zu machen? Das ist doch Totenschändung!“
Johann! Natürlich… Als Geistliche hatte er die Befugnisse. Sie küsste der Wolf „Diese Geschichte ist noch nicht zu ende geschrieben worden! Bleib fern von diesen Ort, für dein eigene Schutz.“ und rannte zurück zum Dorf. Sie dachte dabei nach, wie sie ihn überzeugen konnte… Sie ging zur Kirche und wie erwartet da war er. Als er sie sah bekundete er sein Beileid. „Johann, um genau das geht es.“ sagte sie „ich möchte das Grossmutter ins Dorffriedhof umgesetzt wird, damit sie bei der die sie liebte nah sein kann. Kannst du das veranlassen?“ Johann fasste sie an den Schultern „natürlich werde ich das veranlassen. Gleich heute nachmittag werde ich deine Grossmutter zuhause bringen.“ Rotkäppchen bedankte sich und erwiderte „Ich will sie begleiten auf diese letzte Reise.“ Johann nickte seine Zustimmung „ich werde nach dir rufen lassen.“ Am nachmittag ein Tross, geleitet von Johann machte sich zum Wald. Am Brunnen angekommen sprach Johann ein Gebet, bevor zwei Knechten mit dem ausgraben anfingen. Rotkäppchen wartete gespannt und zugleich traurig. Es wurde plötzlich still als die Knechten das Leintuch freibekamen. Die Leiche wurde vorsichtig ausgehoben und auf die Karre gelegt. Rotkäppchen sprach leise Johann an „Darf ich sie ein Letztes mal sehen?“ Johann verneinte „Das ist sicher kein schönen Anblick. Sie wird in ein sehr schlechtes Zustand sein…“ Rotkäppchen brach in Tränen „Ich… ich konnte mich nicht verabschieden…“ Johann lenkte ein und öffnete das Tuch. Zur eigene Überraschung war die Leiche in ein tadellose Zustand. Das machte Johann misstrauisch und zugleich neugierig: Grossmutter wurde doch vom Wolf gefressen… Als das Tuch komplett offen war entdeckte Johann die wahre Todesursache… Er drehte sich zu Rotkäppchen „Deine Grossmutter wurde nicht gefressen, sie wurde erschossen!“ Rotkäppchen wusste das dies die Gelegenheit war. Sie kam neben der Karre und haltete Grussmutter Hand: „Erschossen? Wie ist das möglich?… Warum?… Das verstehe ich nicht…“ Johann war nicht dumm „Das kann nur der Bürgermeister beantworten…“ Sie verdeckten wieder die Leiche und machten sich auf zum Dorf. Johann dachte laut nach „Was für ein Grund sollte der Bürgermeister haben, deine Grossmutter zu erschiessen?“ Rotkäppchen ergriff die Gelegenheit: „Als ich das letzte mal Grossmutter besuchte, erzählte sie mir das jemand den ich kenne Hurerei betreibt. Sie sei sogar sicher gewesen, denn diese Person ist mit eine Lilie markiert.“ Johann hörte interessiert zu und Rotkäppchen ergänzte „Was wenn diese Person Grünkäppchen ist? In der Tat sie angelt sich alle Reisende die im Dorf durchkommen…“ Johann Stimme wurde bestimmt „Das wäre ein triftiger Grund und das lässt sich leicht prüfen.“
Der Bürgermeister und ihre Tochter wurden auf Befehl der Herzog verhaftet und eingekerkert. Die Anklageschrift die am Schlosstor hing lautete auf Mord und Hurerei. Bevor jedoch Grünkäppchen ins verliesst geleitet wurde, musste sie sich eine peinliche Prozedur über sich ergehen lassen. Vor alle Gelehrten der Herzog wurde sie ausgezogen und nach der Zeichen der Lilie untersucht. Was die Herren sahen versetzte sie aber in Aufruhr. Die Salbe der Kräuterheilerin hatte gewirkt, die Lilie war nicht mehr erkennbar aber teile der Kritzelei waren noch gut sichtbar: anstatt eine Lilie nur zwei Strich hatte die Salbe übrig gelassen, in form einen auf dem Kopf gestellte Kreuz. „Das Weib ist des Teufels!“ rief eine und allesamt heilten sich zu bekreuzigen. Kurz darauf würde die Anklageschrift von Hurerei auf Hexerei geändert und das sprach sich schnell im Dorf herum. Blaukäppchen und Gelbkäppchen, die bekanntlich mit Grünkäppchen befreundet waren, zogen alle Register um sich von der Hexe zu distanzieren. Sie meldeten sich freiwillig beim Herzog und unter Schwur bezeugten sie das Grünkäppchen sie verhext und unter ihren Bann gezogen hatte. Sie hängten Grünkäppchen mehrere Todesfälle an, unter Tränen erzählten sie wie die Hexe bei dunkle Nächte der Teufel beschwor. Es gab mehrere öffentliche Befragungen, der Herzog und die Gelehrten waren über der Strafmass einig: die Todesstrafe für der Bürgermeister und der Scheiterhaufen für Grünkäppchen. Blaukäppchen und Gelbkäppchen wurde nahegelegt sich als Novizin im Kloster zu melden, um Busse zu leisten und um weitere Konsequenzen zu sparen. Die Frau vom Bürgermeister wurde von den Dorfbewohner gehetzt und floh ohne Gut und Habe. Was mit ihr geschah ist nicht bekannt.
Der Herzog um weitere Auseinandersetzungen mit der Klerus vermeiden wollte, witterte die Möglichkeit eine Allianz mit der Bischof zu schmieden und übertrag Johann die Aufgaben der Bürgermeister. Unter der neue Führung das Dorfleben erwachte.
Rotkäppchen wollte der Wolf treffen und berichten über die letzte Ereignisse. Als sie an Grossmutter Häuschen ankam wollte sie schon nach ihn rufen, der Wolf hatte sie aber bereit gewittert: „Hallo Rotkäppchen.“ Sie erzählte ihm was alles geschehen war und der Wolf war sichtbar zufrieden. „Nun, alle haben bekommen was sie verdient haben.“ sagte der Wolf. Rotkäppchen stellte die Frage die sie den ganzen Weg schon beschäftigte: „Und was wird aus uns?“ Der Wolf holte tief Luft bevor er antwortete „Was wir gemeinsam haben würde keine verstehen… Vergiss nicht: ich bin und bleibe ein Wolf.“ Sie wollte kontern aber der Wolf hatte recht. „Wir können uns aber weiterhin treffen, oder?…“ Er setzte ein Lächeln „Natürlich, ich würde mich sogar sehr freuen.“ Von da an, pflegten Rotkäppchen und der Wolf eine verborgene Beziehung.
Jahrhunderte später zwei Brüder aus Hanau trafen auf eine gewisse Dorothea Viehmann. Diese berichtete über Rotkäppchen Geschichte. Die zwei, obwohl fasziniert von der Erzählung, konnten kaum glauben was sie hörten, so absurd war die Geschichte. Dorothea konnte aber beweisen das die Geschichte keine Erfindung war und übergab ein altes in Leder gebundene Buch. Als eine der Brüder das alte Buch vorsichtig öffnete, stand in verblasste Schönschrift „Dies ist das Tagebuch von Rotkäppchen, AD 1158“.
Ach ja, Grimm war der Stammname diese zwei Brüder.
Was die Gebrüder aus diese Überlieferung machten, ist uns alle bekannt.