*Netzfund* Eine Germanistikstudentin auf Abwegen Teil 3
Erschöpft war Julia irgendwann eingeschlafen. Als sie aufwachte, war es schon fast Mittag. Entsetzt sprang sie aus dem Bett, lief in die Dusche, und beeilte sich zur Uni zu kommen. Sie hatte um 11.00 Uhr einen Termin mit dem Dozenten. Sie hatte weder Zeit noch Lust die Vorgänge von letzter Nacht zu reflektieren. Nur ein flaues Gefühl zwischen den Beinen war geblieben, aber daran war sie gewöhnt. Das war nichts Ungewöhnliches für Julia. Bevor sie aus ihrer Wohnung in der Rosenthaler Straße stürzte, griff sie noch ihre engbeschriebenen Blätter und stopfte sie in die Handtasche. Dann fetzte sie davon.
Auf der Straße war alles wie immer. Die Gedanken an letzte Nacht schlummerten friedlich im Halbbewussten. Der Großstadtgestank beschäftigte sie mehr, die Abgase, die wildfahrenden Radfahrer, die den Tramgleisen auszuweichen versuchten, die genervten Taxis und hupenden Lkws zwischen den chaotisch aufgebauten Baustellen und wildwuselnden Passanten und Touristen in Berlins Stadtmitte. Julia war erleichtert und beschwingt, irgendwie inspiriert und schlenderte die Straße entlang zur Tram, fuhr zur Friedrichsstraße und ging von dort aus zur Humboldt-Uni in die Dorotheenstraße ins Literaturinstitut. Dort setzte sie sich vor das Büro des Dozenten und wartete geduldig in den altehrwürdigen Hallen, blätterte die Seiten durch, dachte an Novalis, Bettina von Arnim und war seltsam glücklich. Ihre Handschrift war leserlich, und sie war jetzt schon darauf gefasst, dass der Dozent sie ermahnenn würde, den Computer zu nutzen. ‚Man sei ja nicht mehr in der Steinzeit.‘
Schließlich ging die Tür auf. Ein Kommilitone, Sebastian, glaubte sich Julia zu erinnern, ging bedröppelt aus dem Büro. „Herein,“ erklang die Stimme des Dozenten. Sebastian schaute Julia traurig an. „Ist in ’ner schlechten Stimmung, pass auf!“
Julia nickte. Ihr Herz sank in die Hose. Sie stand auf und ging langsam ins Büro, das vollgestopft war mit Büchern, Akten, Manuskripten, die in Stapeln auf dem Boden, in den Regalen, wohin sie schauten, aufgestapelt lagen. Der Raum wirkte dunkler durch die Schatten, durch das belletristische Chaos, um den Schreibtisch herum. Der Dozent blickte, an seinem breiten großen braunen Schreibtisch sitzend, über seine Hornbrille hinweg zu der schönen Studentin. Der Blick traf sie ins Mark und Bein. Julia setzte sich schnell auf den Stuhl, unbehaglich, aufgeregt. „Guten Tag, Herr Sebag.“
Der Dozent nickte. „Guten Tag, Fräulein Hofer. Und? Haben sie nochmal nachgedacht, was ‚Authentizität‘ bedeutet?“
Er starrte sie streng an. Der Blick berührte sie seltsam. Statt Angst zu verspüren, genoss sie den sie verurteilenden, etwas verächtlichenden Blick des etwa vierzigjährigen Professors und wurde feucht. Sie schluckte und wunderte sich, aber die Nässe wurde deutlich spürbar und eine Geilheit unleugbar. Er runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung, fühlen sie sich nicht wohl, Frau Hofer?“
Sie schluckte schwer. „Doch, doch, Herr Sebag, doch, doch.“
Der Dozent seufzte. „Meine Güte, warum studiert ihr alle Literatur und bekommt doch kaum ein Wort aus euch heraus. Ich habe das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden. Verschwende ich meine Zeit mit ihnen, Frau Hofer?“
Julia kribbelte es und wurde immer geiler. In ihren Gedanken sagte sie, ‚ja, Herr Sebag, sie verschwenden ihre Zeit mit mir, ich bin ein kleines feuchtes dummes Luder und will durchgefickt werden, also warum ficken sie mich nicht gleich und hier auf der Stelle durch‘. Sie erschreckte. Woher kamen diese Gedanken?
Sie rutschte auf dem Stuhl hin und her. Der harte Blick des Dozenten wühlte sie zunehmend auf. Sie stellte sich kurz vor, wie sie den Rock hob, die Beine spreizte und sagte ‚wer verschwendet denn hier wem seine Zeit, die Pussy fickt sich nicht von alleine‘. Atemlos riss sie sich zusammen. „Tut mir leid, Herr Sebag. Ja, ich habe mir ihre Kritik vom letzten Mal sehr zu Herzen genommen und versucht, authentischer zu werden.“
In ihrem Inneren triggerte das Wort ‚authentisch‘ mittlerweile nur noch anzügliche Bilder. War es das, was mit ihr geschah? Wurde sie authentischer?
Herr Sebag nickte. „Sagen kann das jeder und jede, nicht wahr, Frau Hofer? Haben sie auch etwas geschrieben oder sich nur meine Kritik zu Herzen genommen?“
Sie schüttelte den Kopf und wäre am liebsten zur nächsten Toilette gerannt, um sich dort zu befriedigen. So geil war sie mittlerweile geworden. Halb besinnungslos reichte sie ihm die engbeschriebenen Seiten und stöhnte innerlich unerhörbar, als sie ihren Beckenboden auf den Stuhl presste, während sie sich zu ihm nach vorn beugte.
Er schien nicht mit etwas Geschriebenem gerechnet zu haben und staunte, aber nahm sie entgegen. Legte die Seiten vor sich auf den Schreibtisch, rieb mit den Daumen über das grobe Papier und nickte. Er überflog die ersten Sätze, nickte wieder, blätterte dann zum vorletzten Blatt und las laut vor: „Ihre Unnahbarkeit spiegelte sich in ihrem ganzen Verhalten wider. Ihr Blick, trafen wir uns für kurze, atemlose Momente im Flur oder vor dem Haus auf der Straße, streifte nur an meinem vorbei. Wir kannten uns. Und doch kannten wir uns nicht. Etwas hatte sich verändert, in mir oder in ihr, und ein Schatten von Gewohnheit ließ die Erinnerungen mit ihr zu einer beliebigen Großstadtepisode verblassen. Sie hatte sich verändert. Etwas war in ihr vorgegangen, hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt, hatte ihr Leben derart verändert, dass ich keinen Platz mehr in ihrer Welt hatte, als Freundin, als Nachbarin, selbst nicht als Bekannte, so wenig, dass ich sie nicht mehr anzusprechen wagte. Sie hatte sich entfernt, lebte in einer Parallelwelt und reizte mich mit einer geheimnisvollen Vagheit, die zwischen Vertrautheit und Rätselhaftigkeit unaufhörlich schillerte.“
Er nickte, legte das Blatt sorgsam beiseite, schob die Blätter übereinander und reichte ihr wortlos die Seiten. Julia nahm sie entgegen, verstaute sie in ihrer Handtasche und wartete.
Der Dozent stand abrupt auf, drehte sich um und starrte aus dem Fenster. Nach ein paar Sekunden seufzte er und sagte: „Sie haben mich überrascht, Frau Hofer. Fürwahr überrascht. Vorzügliche Arbeit, nicht pefekt, aber vorzüglich. Das Beste, das ich seit langem hier zu lesen bekommen habe.“
Er drehte sich zu ihr. „Tippen sie das ab und lassen sie sich nicht stören. Ich gebe ihne für das Projekt freie Hand. Ich will sie erst in einem Monat wiedersehen, und,“ er hob den Zeigefinger, „erst am Ende abtippen. Schreiben sie weiter mit der Hand und mit diesem Stift. Es ist sehr authentisch, verändern sie nicht den Ton, lassen sie sich führen, folgen sie dieser Stimme. Es ist sehr, sehr gut.“ Er lächelte. „Sie haben verstanden, dass ‚Authentizität‘ materiell Einzigartigkeit bedeutet, etwas, was digital nicht zu haben ist, und diese materielle Einzigartigkeit in den Kontext einer unhintergehbaren Individualität mittels der Nachbarin thenatisch werden zu lassen ist eine vorzügliche Idee, insbesondere vor dem Hintergrund des anonymen Großstadtlebens. Sehr schön. Lesen sie Döblin zur Inspiration, wenn sie wollen. Einen schönen Tag noch.“
Er atmete durch. Julia stand mit weichen Knien auf. „Danke, Herr Sebag.“
Er winkte ab. „Ich habe zu danken. Sie haben mir eine große Freude bereitet.“
Julia zuckte es in der Möse und lächelte. Er lächelte zurück. Sie ging etwas erregt und atemlos aus dem Büro, schloss die Tür hinter sich und war erleichtert.
-.-.-
Statt in die nächste Toilette zu huschen, ging sie dann doch wie verabredet zur Kantine, wo bereits Clarissa, Sebastian, Doris und Matthias standen und angeregt diskutierten. Alle waren besorgt, aber Julia lächelte. Sie quatschten, tauschten aus, was der Dozent zu ihnen und ihren Projekten gesagt hatte und waren allesamt guter Dinge. Sie tranken Kaffee und aßen gemeinsam zu Mittag, verplauderten den Nachmittag.
Gegen 19.00 Uhr verabschiedete sich Julia, vor allem, weil sie von Doris‘ und Matthias‘ Streit, ob ein literarischer Kanon notwendig sei oder nicht, gelangweilt war, und ging nach Hause, ein wenig Unter den Linden, die Friedrichstraße entlang, achtete sie dennoch nicht wirklich, wohin sie ging. Sie genoss einfach die Großstadt, die Freiheit, diese Weite Berlins.
Gedankenverloren fand sie sich irgendwann Friedrichstraße/Ecke Oranienburger Straße wieder. Sie lenkte ihre Schritte nach rechts, Richtung Große Hamburger Straße. Es war bereits dunkel. Als sie in die Nähe des Hackeschen Marktes kam, sah sie die ersten Prostituierten am Straßenrand, die aufgetakelt, in kniehohen weißen und roten Stiefeln, glänzend lackiert, mit knappem Minirock und langen Haaren, in Leggings oder Stretchbodies standen und ihre Dienste anboten. Früher hatte sie dieser Anblick erschreckt. Sie erinnerte sich noch genau. Nun lag etwas Freies für sie in der Luft, in der Art, wie sie sich anboten, ihren Hintern lockend herausstreckten, wenn sie mit den Freiern in den Autos verhandelten, und auf diesen krassen High-Heels stöckelten und Kette rauchten.
Julia atmete schwer. Sie wusste einfach nicht, was mit ihr geschehen war, welche Dimension sich in ihr geöffnet hatte. Es war nicht zu erklären. Atemlos ging sie den Straßenstrich entlang, sah Zuhälter, Nutten, Freier, sah diese krass geschminkten Gesichter der rauchenden Frauen mit ihren langen Fingernägeln, aufgebrezelt, hergerichtet, von oben bis unten designt, um Männer zu verlocken. Sie fühlte sich plötzlich klein, schwach, ängstlich, als hätte sie etwas zu verbergen in ihren Sneakers und ihrem Wollkleid, als würde sie sich für ihren Körper schämen. Selbstredend war ihr klar, sagte sie zu sich, redete sie sich ein, dass diese armen Frauen zu bemitleiden waren, dass sie ausgebeutet wurden, aber wenn Julia sie sah, stolz, geil, stöckelnd und aufreizend, fühlte sie sich nicht so über-, sondern vielmehr krass unterlegen.
Kurz vor dem Monbijou-Platz sah sie plötzlich Serge an einer Straßenecke aufgeregt mit einer Frau reden. Er nahm sie ruppig am Arm und zog sie in die Seitenstraße. Julia konnte nicht anders und folgte aus Neugier. Langsam näherte sie sich im Schatten dem Paar, das an einer Hauswand stand. Serge klopfte der Frau auf die Brust. „Das darf nicht vorkommen, Süße. Du darfst dir nicht einfach die Freier wegschnappen lassen. Das ist unprofessionell.“
Die Frau hatte blondgebleichte lange Haare, extrem rotgeschminkte Lippen und war ein Kopf kleiner als Serge trotz der extremen Absätze. Von weitem sah sie aber wie jede andere Prostituierte aus. Sie nickte traurig. „Tut mir leid, Serge, wirklich.“
Serge winkte ab. „Pah, davon kann ich mir nichts kaufen. Was kann die Tussi, was du nicht kannst? Lass dich nicht einfach abdrängen. Das war ein spendabler Geschäftsmann im Benz. Streng dich mehr an, Cindy.“
Sie nickte. „Mach ich, versprochen.“
„Fühlst du dich nicht wohl?“ fragte Serge besorgt.
Sie zögerte. Serge legte seinen Arm um sie. „Du weißt, ich mag dich, oder?“
Sie nickte. Serge zog sie an sich. „Wenn du krank bist, musst du nicht arbeiten. Das ist doch klar, oder?“ Sie nickte wieder. Serge fuhr fort. „Aber du kannst nicht immer krank sein, dich nicht immer nicht wohlfühlen, deine Tage haben, und so.“ Sie ließ den Kopf hängen. Serge legte den Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Cindy, hör‘ mal. Ich mag dich, aber es gibt Tausende wie dich, und alle verdienen mehr als du. Wieso bekomm‘ ich immer diese Problemfälle.“
Cindy presste sich an seine Brust. „Tut mir leid, Serge. Wirklich, ich bessere mich.“
Serge seufzte. „Du hast Glück, dass ich dich so mag. Du bist ein Juwel. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, dich fallenzulassen. Jeder andere hier hätte das längst getan. Die machen sich schon lustig über mich.“
Cindys Stimme bebte. „Es tut mir so leid, Serge. Ich bessere mich, versprochen.“
Serge wirkte einlenkend. „Dann los, mach mich stolz, Süße. Verdien etwas Geld.“
Sie strahlte ihn an. Er gab ihr einen Kuss. „Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“
Sie nickte. „Ich liebe dich auch, Serge.“
Julia stand im Hauseingang und hörte atemlos zu. Serge hatte den Dreh offensichtlich raus. Seine Worte klangen immer überzeugend. Selbst Julia glaubte ihm unfassbarerweise und dies, obwohl sie ihn die genau selben Worte gestern zu Dina hatte sagen hören. Ihr schwindelte. Eine Geilheit brach sich in ihr bahn. Sie ging leise ein paar Schritte zurück, fand einen Hauseingang, verschwand in diesem und versteckte sich in einer Nische, wo Fahrräder und ein Kinderwagen standen. Dort hockte sie sich hin, zog ihren Slip beiseite und fingerte sich wie wild im Dunklen. Scheiße, dachte sie, was passiert bloß mit mir. Aber der Gedanke dauerte nicht lange. Die Erregung war zu groß. Die Geilheit zu übermächtig. Sie fingerte sich, stöhnte, hielt sich an einem Lenker fest, während sie in Stößen kam und alles geil fand, einfach alles, und einfach nur gefickt werden wollte.
Als ein Hausbewohner durch die Tür kam, erschreckte sie und erstarrte, wartete bis die Schritte verklangen, dann masturbierte sie wie wild weiter. Ihr war einfach nicht zu helfen. Sie wehrte sich auch nicht, biss in ihren Finger, um nicht laut los zu stöhnen, von ihrer eigenen Lust überwältigt, tropfte sie auf den Hausboden wie ein leckgeschlagenes Fass. Sie bebte. Sie wollte den Boden mit ihrer Lust überdecken. Sie kam, dann kam sie erneut. Ein weiterer Hausbewohner kam, merkte aber nichts, hörte nicht das Schmatzen der besinnungslos masturbierenden Julia im Dunkeln. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Alles verschwamm. Wie eine Wilde massierte sie mit dem Daumen ihren Kitzler während sie bereits drei Finger in ihre klatschnassen Möse rammte. Sie verlor den Sinn für jede Zeit, jede Vorsicht, schließlich jedoch stellte sich eine vorläufige Befriedigung ein.
Als sie sich beruhigt hatte, blieb sie noch kurz im Dunkeln hocken. Ihr Kreislauf war nahe daran, zusammenzubrechen. Sie brauchte etwas zu essen. Sie stand auf, rückte ihren Slip zurecht, aber der war viel zu feucht geworden. Es war unangenehm kalt auf der Haut, also zog sie ihn kurzerhand aus und steckte ihn in ihre Handtasche.
Die kühle Luft an ihrer Möse brachte ihr Erleichterung. Sie ging aus dem Hauseingang und sah wenige Meter weiter, wie Cindy in ein Taxi stieg, Serge auf seinem Telefon tippte. Sie ging auf die andere Straßenseite. Ohne Höschen auf dem Straßenstrich an den Nutten entlang zu gehen, war so versaut, dass sie wieder geil wurde und lieber direkt in die Große Hamburger Straße einbog, an den Galerien vorbei, lieber einen kleinen Umweg nach Hause ging, als wieder von Geilheit übermannt zu werden.
Schließlich kam sie doch zuhause an, sprang unter die Dusche und wollte alles loswerden, alle Gedanken, alle Assoziation, all diese Bilder, Gefühle, all dieses diffuse Zeug. Ihr Leben war einfach völlig aus der Bahn geraten. Ihr schwindelte. Sie hatte Angst. Sie fühlte sich von ihrer eigenen Lust bedroht, aber gleichzeitig so fröhlich, frei, so gut wie noch nie in ihrem Leben.