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Geschichte wiederholt sich – Teil 2

Selma lag auf ihrem Bett. »Komischer Kauz. Er hat dieselben Augen, den gleichen Mund wie Mami. Der eigenartige Backenbart macht ihn sicher älter als er ist. Er sieht aus als hätte er einen Stock verschluckt und eigentlich fehlt nur noch ein gestärktes Hemd, karierter Tweedanzug und eine qualmende Pfeife, dann ist er die Verkörperung eines englischen Lords.«

»Warum ist denn mein Kissen so hart?« Sie setzte sich auf und hob es an. »Was ist das denn?« Unter dem Kissen lag ein Buch mit abgegriffenem Ledereinband auf den mit goldenen Buchstaben ein Titel geprägt war: ‚Kanon des wohlerzogenen Weibes – Gebührliche Manieren und Zucht‘. Daran war mit einer Büroklammer ein Zettel angebracht.
‚Arbeite Dich geduldig ein, Selma. Dieser Kanon ist ein Schatz, der eine Menge an Lösungen und Erklärungen beinhaltet. In Liebe, Mami.‘ »Wow.« Selma nahm das Buch ehrfurchtsvoll in die Hand und setzte sich an ihren Schreibtisch. Welche Enttäuschung. Die Schrift war für Selma nicht zu entschlüsseln.

Sie wusste zwar, dass es eine alte Schrift war und sah auch einige Buchstaben, die ihr bekannt vorkamen, aber das war auch schon alles. »Wie soll ich das nur entziffern? Mami kann ich ja schlecht fragen, wenn sie schon schreibt ich solle mich geduldig einarbeiten.« Sie kratzte sich am Kopf.

»Ich muss sofort in die Unibibliothek. Irgendwo muss es doch eine Übersetzungstabelle geben, mit der ich herausfinde welches Zeichen welcher Buchstabe ist.« Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Mami nicht fragen, alte Schrift, historisch…
Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Bin ich doof. Was will ich denn in der Uni? Im Wohnzimmer sitzt ein Experte.« Schnell versteckte sie den Foliant und rannte los. „Onkel David, Onkel David, hast Du Zeit für mich? „Gemach, gemach.“ „Du musst mir unbedingt helfen. Ich muss für die Schule eine Abhandlung über eine Schrift schreiben und ich habe keinen blassen Schimmer.“

Vor Aufregung bebend stand sie vor ihrem Onkel. „Es ziemt sich nicht für das Weib Aufruhr zu erzeugen.“ „Aber Onkel.“ Selma riss sich zusammen. »Na warte. So viel kann ich auch noch.« „Ehrenwerter Herr Onkel. Hättet Ihr die Güte Eurer unwürdigen Nichte zu helfen? Ich wäre Ihnen unsäglich dankbar, wenn Ihr meiner himmelschreienden Kenntnislosigkeit ein Ende bereiten könntet. Wenn ich in aller angemessenen Demut untertänigst darum bitten darf.“
„Es scheinen einige grundlegenden Anstandsregeln bekannt zu sein. Scheinbar ist doch noch nicht Hopfen und Malz verloren.“, murmelte er. „Beruhige Dich und setze Dich zu mir. Was ist denn das für eine Schrift?“ „Wenn ich das nur wüsste.“ „Kannst Du sie mir zeigen?“ »Ich bin doch nicht blöd.«

„Leider nicht.“ „Wie sieht sie denn aus?“ „Wie soll ich sagen, alt. Sie sieht alt aus. – Mami – Die Schrift, Du weißt schon welche, weißt Du zufällig wie sie heißt?“ Christina brauchte einige Augenblicke bis sie begriff. „Das ist Sütterlin, Selma.“ „Sütterlin? Ich wusste nicht, dass Sütterlin noch gelehrt wird, Christina.“, wunderte sich David.
„Ach was heißt schon lehren, Bruderherz. Die heutigen Pädagogen haben doch keine Ahnung und lassen lieber die Schüler recherchieren.“ „Unglaublich. Was ist nur aus unserer Welt geworden?“ Er schüttelte den Kopf. „Nun gut. Du interessierst Dich also für Sütterlin, Selma.“ „Oh ja, Onkel.“ „Dann spitze die Ohren und gib Acht.“

Selma wunderte sich eine knappe Stunde später, wie schnell ihr David Sütterlin beigebracht hatte. Mit nachdrücklicher Strenge hatte er ihr die Buchstaben eingebläut und Selma war kurz darauf in der Lage eines seiner Manuskripte in Sütterlin zu ‚übersetzen‘. Er nickte ihr anerkennend zu und sie fiel ihm um den Hals.
„Onkel, Du bist so ein bewundernswerter Mann und so gebildet. Ich weiß gar nicht wie ich mich bei Dir bedanken soll.“ Tausend kleine Küsse bedeckten Davids Gesicht, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Dass sich dabei Selmas Brüste an ihn schmiegten war alles andere als Zufall.

»Selma, Selma. Du bist ja ein ganz durchtriebenes Früchtchen.“, dachte Christina, die die Szene heimlich beobachtet hatte. »An wen erinnerst Du mich nur?«, fragte sie sich ironisch. »Und Du Bruderherz bist ein Hornochse. Deine Nichte wickelt Dich ja so um den Finger, dass selbst ich mir noch eine Scheibe abschneiden kann.«

Selma lag bäuchlings auf ihrem Bett. Das rechte Bein war abgewinkelt und nach oben gestreckt, der Kopf mit der linken Hand abgestützt und der rechte Zeigefinger fuhr die Zeilen in dem Kanon entlang, der aufgeschlagen vor ihr lag. »So dauert das ja ewig. Das hat keine Zukunft.«, dachte sie nach der Hälfte des Vorwortes und ging zum Inhaltsverzeichnis.

„Das dürften die Anstandsregeln sein. Die interessieren mich erst später. Hier, da beginnen die Züchtigungen. Mami redete doch von einfachen, mittleren und schweren Strafen. Ach nee, Popo voll kenne ich doch schon. – Und hier, huch, nee, auf dreieckigem Holz knien ist ungeil. – Aber hier, Riemen. Da bin ich richtig. Zuerst der Lederriemen und dann noch der Riemen, den Männer zwischen den Beinen haben. Das wäre es doch. Jetzt wird es interessant.«

„Schwester, ich habe mit Dir zu reden.“ „Ist etwas passiert, Bruderherz?“ „Das kann man wohl geflissentlich sagen. Es geht um Selma.“ „Was hat sie denn angestellt?“ „Ihr Mangel an gehörigen Manieren ist erschreckend.“ „Heutzutage sind alle Mädchen in ihrem Alter so.“ „Du warst keineswegs so. Aber Du bist ja auch von unserem Vater – Gott hab ihn selig – erzogen worden.“

„David, das war doch eine ganz andere Zeit.“ „War es das? Seit wann ist es schicklich die Erziehung seiner Kinder zu vernachlässigen?“ „Bruderherz, times change, die Zeiten ändern sich. Das wirst auch Du nicht aufhalten.“ „Es geht um das Wohl meiner Nichte.“ »Ach jetzt auf einmal. Sind es nicht eher ihre knospenden Titten gewesen, die Dich überzeugt haben?«, dachte sie.

„Soso, jetzt ist es also plötzlich Deine Nichte. Was ist eigentlich mit meiner Tochter?“ „Papperlapapp. Du hast heute Mittag eine sehr kluge Bemerkung gemacht. Du sagtest, wenn Dein Gatte nicht zugegen ist, dann bin ich das Familienoberhaupt.“ »Nachtigall, ich hör Dir trapsen.« „Als solches werde ich Dir das Ergebnis meiner Überlegungen mitteilen.“ »Ich ahne schreckliches.«

„Ich habe bemerkt, dass rudimentäre Grundkenntnisse von Anstand vorhanden sind. Allein ihre Anwendung lässt deutlich zu wünschen übrig. Darum ist es unerlässlich, dass Selma eine anständige Ausbildung erhält, die auf Zucht und Ordnung basiert. Ich bin bereit mich dafür zur Verfügung zu stellen.“ »Und führe Selma und mich nicht in Verführung.«

„Nun ist es allerdings so, dass die Zeit, die ich bei Euch zu verbringen gedenke, zu kurz bemessen ist.“ „Willst Du sie etwa mitnehmen nach England?“ „Schottland, Christina, Schottland.“ „Also ich weiß gar nicht – das ist natürlich ehrenhaft – Bruderherz – und ich – aber – also – das kann ich nicht alleine entscheiden.“
„Selbstverständlich. Ich gehe jedoch davon aus, dass Dein Gatte eine sinnvolle Entscheidung zum Wohle Selmas treffen wird.“ »Träum weiter, Bruderherz.« „Mit Deiner Unterstützung natürlich.“ »Ach wie gnädig.« „Selbstverständlich, Bruderherz. Das dürfte nur schwierig werden. Nahezu unmöglich. Er hat so ganz andere Vorstellungen von Erziehung wie Du.“

„Er wird sich nach einiger Bedenkzeit meinen berechtigten und bewährten Argumenten nach den Grundsätzen des Kanons, zum Wohle Selmas anschließen. Selma wird sich ja hoffentlich nicht sträuben.“
»Sträuben? Ja hast Du denn überhaupt nicht verstanden wie Frauen in unserer Familie, wenigstens seit unserer Oma Selma, ticken? Ich falle vom Glauben ab. Sich sträuben. Alleine die Vorstellung, wie sie Dir in voller Kenntnis der gebührlichen Manieren die Hosen runter lassen und sich über den Tisch ziehen lassen wird, ist zu verführerisch. Da kann ich nicht widerstehen. – Zum Wohle Selmas selbstverständlich.«
„Nun, Christina, kann ich mich auf Deine Unterstützung verlassen?“ „Ich will sehen, was ich tun kann, Bruderherz.“

„Bärchen, was hältst Du eigentlich von einem Bildungsurlaub für Selma?“ „Wovon redest Du, Schatzi?“ „Von einer Bildungsreise ins Ausland.“ „Hast Du Dir überlegt, was das kostet?“ „Weniger als Du denkst. England würde sich doch anbieten. David wäre bereit Selma für einige Zeit bei sich aufzunehmen. Dann wären es nur Hin- und Rückreise und eine großzügige Aufmerksamkeit für David. Ich denke das übertrifft unsere Möglichkeiten nicht wirklich.“
„Englisch ist natürlich wichtig, aber soo schlecht sind Selmas Noten doch gar nicht.“ „Das ist doch etwas völlig anderes. Stell Dir nur vor sie bekommt einen Intensivkurs vor Ort! Das ermöglich ungeahnte Perspektiven für ihre Zukunft.“ „Hm. Weiß Selma schon etwas davon?“ „Sie ist Feuer und Flamme.“ „Ach ja? Dann bin ich wohl der Letzte, der davon erfährt.“

„Wann hätte ich es Dir denn sagen sollen? Du warst ja nicht da.“, gab Christina schnippisch zurück. „Fang mir nur nicht wieder damit an, Schatzi. Du wusstest genau, dass ich oft auf Dienstreise sein werde als wir geheiratet haben.“ „Lass uns nicht streiten, Bärchen. Mir fällt es ja auch schwer. Aber irgendwann muss Selma doch lernen auf eigenen Füßen zu stehen.“

Christina schoss die Erleuchtung durch den Kopf. „Abgesehen davon hätte es ja auch nicht zu vernachlässigende Vorteile für uns, also Dich.“ „Was meinst Du?“ „Du müsstest Dir keine Gedanken mehr machen wann und wo. Könntest ganz spontan sein, weil Selma uns nicht hören kann und Bärchen, wir könnten es wieder so wild treiben wie früher.“
„Bärchen, bei mir sprudeln die Ideen nur so. Mir fallen ganz viele Sachen ein, die wir miteinander machen können. Richtige Schweinereien, die Dir und Deinem besten Stück garantiert gefallen. – Wenn Selma bei David ist.“ „Na schön. Wann hast Du denn gedacht?“ „In acht Tagen beginnen die großen Ferien. Da könnte David Selma mitnehmen, damit sie nicht alleine auf die Reise gehen muss.“

„Lieber David, Selma, Chrissy hat mit mir geredet und ich denke, dass ein Bildungsurlaub in England für Selma von Vorteil sein wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du – Selma – dabei Deinen Horizont erweiterst und einprägsame Erfahrungen machen wirst, die sich in Deiner Zukunft bewähren werden. Lange Rede, kurzer Sinn, ich möchte Dir für Deine großzügige Bereitschaft danken, David und bin einverstanden, dass Selma mit Dir in den Ferien nach England geht.“

David räusperte sich. „Selma, wenn Du bereit bist die Ratschläge Deines Onkels anzunehmen, dann wirst Du mit Bestimmtheit sehr viele neue Erfahrungen sammeln können, die Dir noch lange im Gedächtnis bleiben werden. In diesem Sinne möchte ich mein Glas erheben und mit Euch auf Selmas Wohl Anstoßen. Auf Selma.“ „Auf Selma.“

»Ich bin immer wieder verblüfft, mit welch schlafwandlerischen Sicherheit mein Bärchen die richtigen Worte trifft. Das war genial. David fühlt sich geehrt und kann das tun, was er unter seiner Pflicht versteht, Selma kann ihre geheimen Begierden ausleben und ich mich mal wieder mit Bärchen austoben. Dabei weiß er gar nicht um was es geht.
So wie meine Oma Diethard um den Finger gewickelt hat, mache ich es mit Bärchen und Selma mit meinem Bruder. Das kann doch kein Zufall sein. – Geschichte wiederholt sich.«




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