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Die Hexe 4

Hannah genoss die Wärme der Herbstsonne auf ihrer Haut. Es war ein wenig frisch. Aber mit etwa 16° noch lange nicht kalt. Außerdem hatte man ihr eine alte Decke umgelegt. Sie war dankbar für diese kleine Atempause. Man hatte einen kleinen Holzkarren vor das Podium gezogen, auf welchem die Dorfkinder standen und hellblaue oder rosa Lose zogen. Schnell waren die zwei Gewinner bekannt. Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen.
Die alte Dame, die auch gestern den Vorsitz innehatte, kam aufs Podium und ergriff das Wort. „Hallo liebe Kinder. Willkommen bei unserem alljährlichen Zug zurück ins Dorf!“, die Kinder auf der Bühne klatschten begeistert in die Hände. „Wie ich sehe, steht der Karren schon bereit! Und hier neben mir steht auch schon der Kutscher!“ Man hatte dem Jungen eine kleine Filzmütze, als Zeichen seines Gewinns aufgesetzt. „Und auch die Prinzessin ist schon hier!“, sagte die ältere Dame, fröhlich. Das Mädchen trug als Zeichen ihrer Würde einen kunstvoll geflochtenen Blumenkranz im Haar. Die Kinder wurden von der Bühne geschickt, damit sie ihre Plätze einnehmen konnten. Der „Kutscher“ durfte auf dem Kutschbock Platznehmen, „die Prinzessin durfte sich auf die Ladefläche des Karrens stellen. Die anderen Kinder stellten sich um den Karren herum auf.
„Aber was sehe ich denn da! Wo ist denn unser Ochse?!“, rief die Dame von der Bühne. Die Kinder lachten. Sie rief nach einem Büttel. Er solle für sie einen Ochsen auftreiben. Nach 5 Minuten kehrte der Büttel scheinbar ratlos zurück. „Wir haben keinen Ochsen, Frau Bürgermeisterin!“ „Aber was machen wir denn jetzt?“, rief die Bürgermeisterin mit gespieltem Schrecken in der Stimme. Nachdem sie eine halbe Minute scheinbar angestrengt überlegt hatte, rief sie. „Ich habe eine Idee!“ Die Kinder kreischten vor Vergnügen. „Wir können die Hexe fragen, dass sie sich einen Ochsen verwandelt. Vielleicht ist sie ja so lieb?!“
„Wir rufen jetzt alle: Komm, Hexe, komm!“, dann kommt sie ja vielleicht. „Eins… Zwei… Drei…“, und alle Kinder schrien im Chor „Komm, Hexe, komm!“, Hannah wollte sich schon in Bewegung setzen, aber einer der Büttel hielt sie zurück.
Erst nachdem die Kinder sie zum dritten Mal gerufen hatte, durfte Hannah die Bühne unter lautem Jubel der Kinder betreten. „Bitte liebe Hexe, willst du dich für die Kinder in einen Ochsen verwandeln?“ Ein wilder Chor aus Kinderstimmen drang zu Hannah hinüber. „Bitte Liebe Hexe!“, „Bitte, Bitte, Bitte, Bitte!“
Hannah gab ihr Einverständnis durch ein deutliches Nicken zu verstehen und die Kinder jubelten. Sie wurde hinter die Bühne geleitet, wo man ihr helfen wollte sich in einen Ochsen zu „verwandeln“.
Als Hannah von der Bühne stieg, wartete schon der Dorfschmied auf sie und er trug einen großen aus verschiedenen Eisenstreifen gefertigten Ochsenkopf mit sich. Der Schmied brauchte die Hilfe gleich dreier Freiwilliger um ihr dieses Teil auf zu setzen. Es waren Ernestine und ihre beiden Freunde. Nicht etwa, weil er so schwer war, denn es handelte sich ja nur um ziemlich dünne Eisenstreifen, die einen großen Teil ihres Kopfes unbedeckt lassen würden, sondern weil er so groß und unhandlich war und weil zum Aufsetzen die Vorderseite dieser kunstvoll gefertigten Schandmaske aufgeklappt sein musste.
Hannah hätte diese Vorrichtung ziemlich enttäuscht, wäre da nicht die Sache mit dem Mund gewesen. Als der Schmied nämlich die Vorderseite nach unten klappte, wurde sie nämlich gewahr, dass sie ein sehr breites, hohles Mundstück aufwies.
Hannah öffnete ihren Mund soweit sie konnte und ließ sich das Mundstück bis weit in den Mund schieben. Besonders unangenehm war eine kleine unregelmäßige Verdickung, genau hinter ihre Lippen zu liegen kam. Die Drei betrachteten Hannah in ihrem neuen Aufzug und Ernestine beglückwünschte den Schmied artig. Hannah konnte hören, wie Maggie Ernestine „Natürlich findest du das Teil gelungen! Du würdest es doch am liebsten selbst anziehen.“ halblaut ins Ohr raunte. Durch die großen Schlitze in der Maske, konnte sie sehen, wie Ernestine leicht errötete.
Allerdings blieb Hannah wenig Zeit sich mit Ernestine und ihren Freundinnen zu befassen. Man gab ihr Schuhe und zwei Büttel brachte sie unter großen Jubel zum Ochsenkarren. Einen Moment lang beneidete sie die Kinder ihrer unschuldigen Unwissenheit wegen. Jetzt erst konnte sie sehen, dass es sich um einen kurzen zweiachsigen Wagen handelte. Aber wie wurde er gezogen? Ein Büttel holte zog ein metallenes Joch vom Kutschbock, welches mit zwei Ketten fest am Karren verankert war. Hannah stellte sich in eine mittlere Position vor dem Karren. Ein Büttel legte ihr dann das metallene Joch auf. Der Schmied verstand wirklich sein Handwerk, denn Hannah spürte sofort, dass die halbkreisförmige Aussparung im Metalljoch genau zum Umfang der Ochsenmaske passte und am Ende einrastete. Um Hannahs Hilflosigkeit perfekt zu machen, ketteten die Büttel auch noch Hannahs in Eisen geschlagenen Handgelenke an die Rückseite des Jochs. Dann kam der Schmied zurück. In seinen Händen trug er den herrlichen Gipfel aller Demütigungen. Es handelte sich um einen Zwitter aus Vorhängeschloss und Kuhglocke. Mit diesem verband er die Ösen in Hannahs Halsband und Ochsenmaske bombenfest miteinander.
Als ein Büttel schon den Befehl zum Aufbruch geben wollte, hielt ihn der Schmied zurück. Er zeigte dem Büttel einen kleinen Hebel unter dem Ochsenkinn. Als er diesen betätigte stach plötzlich eine Metallspitze in ihre Zunge. Sie schrie auf und schüttelte sich vor Pein. Zu hören aber nur ein lang gezogenes „Mooooouuuuuhhhh“ und das wilde Bimmeln der Kuhglocke. Der Büttel klopfte dem Schmied lachend auf die Schulter und trieb Hannah mit einem gemeinen Stockhieb in die Seite zur Abfahrt. Stoisch setzte Hannah einen Fuß vor den anderen und zog den Karren. Sie hätte den schweren Karren allerdings nie aus eigener Kraft von der feuchten Wiese ziehen können. Hier mussten die Büttel kräftig mit anpacken. Als die den mit Kieselns ausgelegten Hohlweg zur Straße hin erreicht hatten, konnte Hannah den Karren unter Anstrengungen alleine ziehen und als erst mal die asphaltierte Straße erreicht hatte, viel es Hannah erstaunlich leicht den Karren zu ziehen. Zumal der Zug wegen der vielen kleinen Kinder sowieso kein hohes Tempo einschlagen konnte.
Nach einer Weile hatte Hannah aufgehört aktiv zu denken. Stoisch stapfte sie in die Richtung, die der Büttel ihr vorgab. So hatte sie gar nicht mitbekommen, dass sie sich der ersten kleinen Siedlung auf dem Weg ins Dorf näherten. So hatte sie auch nicht bemerkt, dass die Hand des Büttels sich in verdächtig kleinen Schritten, dem verhängnisvollen Hebel unter ihrem Kinn genähert hatte. Gerade als Hannah erkennen konnte, dass sich der Karren einer kleinen Gruppe von am Wegesrand winkenden Kindern näherte, legte der Büttel den Schalter um. Der quälende Schmerz erfasste ihre Zunge. Sie schüttelte sich wild und schrie gellend auf. Für die Kinder musste es so aussehen als ob der kleine Ochse vor dem Gespann sie freudig begrüßte. Diese Gaudi fanden sie phantastisch.
Die Erwachsenen des Weilers wussten es natürlich besser, als ihre nichts ahnenden Kinder. Eine Frau aus der Menge war Hannah bedrohlich nah gekommen. Hart kniff sie in Hannahs Seite und zischte ihr ins Ohr „Komm meinen Kindern nicht zu nahe, Hexe!“ Hannah fragte sich, wie sie das hätte bewerkstelligen können, so wie sie vor dem Ochsenwagen gespannt war.
Im Laufe des Vormittags kam der kleine Zug noch durch drei weitere Weiler. Jedes Mal hatte der Büttel den Hebel gezogen. Und jedes Mal hatte Hannah den Kindern eine Schau geliefert, auch hatte Hannah sich jedes Mal hoch und heilig geschworen sich das nächste Mal nicht überraschen zu lassen. Doch viel sie nach jedem Weiler nach spätestens 100 Schritten wieder in den gleichen Trott in dem sie der Büttel schmerzhaft überraschen konnte.
Hannah war erleichtert, als sie den Rand des Dorfes erreichten. Der Karren hatte nun doch begonnen schwerer zu wiegen und sie drohte langsam aber sicher zu erschöpfen. Das Dorf war nicht besonders groß. Es konnte nicht mehr besonders weit sein bis zu ihrem Ziel! Und tatsächlich kam nach hundert Schritten der Rathausplatz in Sicht. Hannah war froh, als der Büttel sie endlich anhielt. Die Kinder stiegen vom Karren und liefen zu ihren Freunden. Die Bürgermeisterin hielt die Kinder an sich artig bei der Hexe zu bedanken und sie riefen „Danke liebe Hexe!“ im Chor. Als die Kinder freudig zu ihren Eltern liefen, zog der Büttel ein weiteres Mal am vermaledeiten kleinen Hebel und zwang Hannah dazu den Kindern einen letzten schmerzhaften Gruß zu entbieten.
Hannah wurde abgeschirrt. Der Holzkarren blieb wo er war, denn dieser würde später noch einmal gebraucht werden. Zwei Büttel führten sie ab. Eine große Menschenmenge begleitete sie. Sie kamen zu einer alten, restaurierten Mühle. Dort wurde Hannah einfach, wie Vieh an eine der kreisenden Holzbalken des Mühlrads gekettet. Gezwungenermaßen trottete sie im Takt der Wassermühle im Kreis. Die Menschenmenge verspottete sie. Doch schnell hatten die Leute genug davon der Hexe beim Kreislaufen zuzusehen, so demütigend und erschöpfend es für diese auch war und gingen nach Hause. Zwei Büttel blieben bei der Hexe.
Weil keine Zuschauer mehr anwesend waren, schlossen sie die Tür und Hannah sah, wie sie sich müde auf zwei Schemel setzten und der Hexe beim Laufen zusahen. Oh wie gerne, hätte sich auch Hannah irgendwo hingesetzt und ihre müden Glieder gerieben. Aber solchen Luxus hatte ein böses Mädchen wie sie einfach nicht verdient. Sie war eine Hexe! Es war die Pflicht der Gemeinschaft sie bis zu ihrer Läuterung zu demütigen und zu quälen, wo sie nur konnte. Hannah erschöpfte mehr und mehr. Ab und an stolperte sie, denn sie war müde und konnte kaum noch ein Bein vor das andere setzen. Einer der Büttel hatte das gemerkt. „Können wir sie jetzt nicht abspannen?“, meinte der eine zum anderen. „Es sind ja keine Zuschauer mehr da!“, „Oh bitte nicht!“, dachte Hannah und versuchte sich wieder zu konzentrieren, dass sie ohne stolpern lief. Doch ihre Sorge war unbegründet. „Du kennst diese Kleine hier wohl nicht?“ sagte der andere Büttel und wies vage in die Richtung der Hexe. „Nein. Woher auch. Sie kommt ja aus Deutschland – da war ich noch nie.“, meinte der andere ein wenig einfältig. „Glaub mir! Ich hab den Vertrag gesehen, den die Kleine unterschrieben hat. Ist so! Die will es so unnachgiebig!“ Verwundert sah der andere Büttel die gequälte Hexe an. Seine Miene veränderte sich. Sie wurde hart. „Recht so!“, dachte Hannah. Ihr müsst mich behandeln, wie ich es verdient habe! Ich bin…“
In diesem Moment geschah es. Hannah hatte sich einmal mehr nicht auf das Wesentliche konzentriert und war gestolpert. Diesmal fing sich die Hexe nicht mehr sondern fiel. Sie wurde an den Handgelenksfesseln, die an den sich im Kreis drehenden Holzbalken gekettet waren mitgeschleift. Verzweifelt versuchte Hannah wieder auf die Beine zu kommen. Der mitleidige Büttel war aufgestanden und zu ihr gekommen. Doch anstatt ihr aufzuhelfen schrie er sie an. „Steh auf du dreckige Hexe! Mach schon!“, dann hieb er mehrmals mit einer Rute nach Hannah. Erst als er merkte, dass Hannah aus eigenen Kräften nicht wieder aufstehen konnte, half er ihr. Er nahm seine Rute wieder in die Hand und verpasste Hannah drei Hiebe auf den Oberschenkel. „Wenn ich noch mal kommen muss, gibt’s mehr!“, sagte er kühl. Er ging zurück zu seinem Gesellen. „Ich hoffe die Schlampe hat bekommen, was sie wollte.“, meinte er fröhlich.
Hannah empfing an diesem Nachmittag noch drei weitere Male die Rute, bis endlich die Bürgermeisterin kam. „Wie geht es ihr?“, fragte sie einen von Hannahs Bewachern. „Sie ist müde und ausgelaugt. Ihr tun wahrscheinlich alle Knochen weh. Sie fühlt sich gedemütigt und erniedrigt, würde ich mal sagen…“, gab ihr der Büttel zurück. Hannah hätte es nicht schöner zusammenfassen können. Die Bürgermeisterin würdigte die Hexe keines Blickes und ließ sie einfach weiterlaufen. Sie wandte sich an die Büttel. „Wir haben ein Problem!“ Die beiden sahen sie aufmerksam an. „Ich habe doch allen gesagt, dass wir Kinder und Erwachsenenaktivitäten streng trennen müssen! Sonst machen uns die Jugendsfürorge und die Sittenpolizei den Laden dicht!“ die Bürgermeisterin redete sich in Rage. „Also… Wieso hast du die Kleine so hart gepeitscht als Kinder dabei waren?“ Der Büttel blickte betreten zu Boden. „Versteh mich nicht falsch. Ich hab nichts dagegen, dass du sie hart rangenommen hast.“, sie legte eine Pause ein und machte eine vage Kopfbewegung zu der gequälten Hexe hinter sich. „Die Hexe wahrscheinlich auch nicht… aber vielleicht einige der Eltern. Also mehr Vorsicht, bitte!“ „Jawohl Frau Bürgermeisterin“, sagte der Büttel. „Und was sollten die masturbierenden Männer und die Peitsche im Arsch? Zum Glück waren die Kinder noch nicht da! Das nächste Mal bitte etwas mehr Vorsicht!“ Dann wandte sie sich zum anderen Büttel. „Und jetzt zu dir! Wieso trägt die verdammte Hexe kein Brusttuch und keinen Lendenschurz?! Das war so abgesprochen! Es haben sich schon drei Eltern beschwert. Wenn wir wegen deiner unkontollierten Geilheit das Festival nächstes Jahr einstellen müssen, fliegst du! Egal wie ich das Deichseln muss. Verstanden?!“ „Ja, Madame!“
Die Bürgermeisterin sah auf die Uhr. „ Lasst sie noch eine Viertelstunde laufen. Dann könnt ihr sie zum Saal bringen.“ Die Büttel nickten und die Bürgermeister verließ die Mühle. „Wäre verdammt schade, wenn das Festival nächstes Jahr ausfallen würde!“, meinte der eine Büttel. „Vor allem weil es heißt, dass sich nächstes Jahr die kleine Enkelin des alten Drachens freiwillig melden will.“ „Was?! Die kleine Ernestine? Geil! Die würde ich gerne mal heftig mit dem Stock ran nehmen!“, traurig fügte er hinzu, „Schade, dass es nächstes Jahr wieder so lahm wird, wie früher.“ „Sei dir da nicht so sicher! Der Drachen hat selbst gesagt, dass wenn sie nächstes Jahr nicht wieder eine Auswärtige nehmen, die Bedingungen für Gewählte verschärft werden!“, sagte der eine. „Das gilt dann natürlich auch für Freiwillige“ beendete der andere den Satz. „Auch wenn sie die Enkelin der Bürgermeisterin ist.“ Sie grinsten sich an. Sie gingen zu Hannah hinüber und erlösten sie aus ihrer misslichen Lage. „Warte mal! Weiß Ernestine von der Verschärfung? Würde sie es trotzdem machen?“ der andere Büttel klopfte ihm auf die Schulter. „Man munkelt, dass die Kleine es eher wegen der Verschärfung machen will!“, „Geil!“ Hannah hatte keine Mühe sich vorzustellen wer diese Gerüchte wohl gestreut haben mochte.




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